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Die Bibliothek

Die Bibliothek

Titel: Die Bibliothek
Autoren: Umberto Eco
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geschützt.
    Der andere Nachteil dieser Art von Bibliotheken ist: sie ermöglichen, fördern und beschleunigen die Xerozivilisation. Die Xerozivilisation, also die Zivilisation der Fotokopie, bringt zusammen mit allen Annehm-lichkeiten, die das Fotokopieren bietet, eine Reihe von 29

    ernsten Problemen für die Verlage mit sich, besonders in rechtlicher Hinsicht. Vor allem betreibt sie den Zu-sammenbruch des Urheberrechtsbegriffs. Gewiß gibt es noch Widerstände: geht man zum Beispiel in einer solchen Bibliothek, in der es Dutzende von Kopiergeräten gibt, zur offiziellen Kopierstelle, wo es billiger ist, und will sich ein ganzes Buch kopieren lassen, so bekommt man zu hören, das sei nicht möglich, weil es gegen das Urheberrecht verstoße. Aber wenn man ge-nügend Kleingeld hat und sich das Buch selber kopiert, sagt niemand etwas. Außerdem kann man das Buch ausleihen und es zu gewissen Studentenkooperativen bringen, die es praktischerweise gleich auf gelochtes Papier kopieren, so daß man die Blätter nur noch in einen Ordner einzulegen braucht.
    Auch in diesen Kooperativen wird einem manchmal gesagt, sie könnten nicht ganze Bücher fotokopieren (andere tun es freilich, es hängt ganz davon ab, wie genau sie es nehmen). Ich hatte das Problem ein paar-mal mit meinen Studenten. »Wir brauchen von diesem Buch dreißig Kopien«, sagt mir einer, »aber im Copyshop weigern sie sich, es zu kopieren, weil im Impressum steht, daß es urheberrechtlich geschützt ist. «
    »Na gut«, sage ich, »dann besorgt euch genügend Kleingeld, macht euch eine Kopie am Kopierautomaten, bringt das Buch in die Bibliothek zurück und laßt euch dann im Copyshop neunundzwanzig Kopien der Kopie machen. Eine Fotokopie ist nicht urheberrechtlich geschützt.«
    »Daran hatten wir gar nicht gedacht. « Dabei ist es so einfach, neunundzwanzig Kopien einer Fotokopie macht einem jeder beliebige Copyshop.
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    Das hat sich mittlerweile auf die Politik der Verlage ausgewirkt. Jeder wissenschaftliche Verlag ist sich heute darüber im klaren, daß seine Bücher fotokopiert werden. Infolgedessen druckt er seine Bücher in klei-nen Auflagen von höchstens ein- bis zweitausend Exemplaren, die 150 Dollar kosten und nur von den Bibliotheken gekauft werden, wo die anderen sie sich dann ausleihen und fotokopieren. Die großen holländi-schen Verlage für Linguistik, Philosophie, Kernphysik usw. lassen heute ein Buch von 150 Seiten gut und gern 50 bis 60 Dollar kosten, eines von 300 Seiten kann bis zu 200 Dollar kosten, es wird an den begrenzten Kreis der großen Bibliotheken verkauft, und der Verlag weiß mit Sicherheit, daß alle Studenten und Forscher nur mit Fotokopien arbeiten werden. Wehe dem Wissenschaftler, der seine Bücher für sich haben möchte, er könnte sie nicht mehr bezahlen. Die Folge ist, daß die Preise weiter steigen und die Verbreitung weiter ab-nimmt. Welche Garantie hat also der Verlag, daß seine Bücher in Zukunft noch gekauft und nicht bloß fotokopiert werden? Die Preise müssen niedriger als die Ko-pierkosten sein. Da jedoch das Kopieren immer billiger und die Kopien immer besser werden, ergibt sich für den Verlag das Problem, wenn er seine Bücher ans breite Publikum und nicht nur an Bibliotheken verkau-fen will, daß er sie so billig wie möglich drucken muß, also auf extrem schlechtes Papier, das bald spröde wird und, wie Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt haben, nach ein paar Jahrzehnten zerfallen sein wird (das hat schon begonnen: die Gallimards der fünfziger Jahre zerbröseln wie trockenes Brot, wenn man sie heute durchblättert).
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    Dies führt zu einem weiteren Problem, nämlich einer rigorosen Selektion von oben zwischen denen, die überleben werden, und denen, die man vergessen wird. Mit anderen Worten: Autoren, die in den großen internationalen Verlagen publizieren, deren Bücher nur in den begrenzten Kreis der Bibliotheken gelangen und bis zu 300 Dollar kosten, werden auf relativ gutes Papier gedruckt und haben Aussichten, in Bibliotheken zu überdauern und fotokopiert zu werden, während jene, die nur bei Verlagen publizieren, die sich ans breite Publikum wenden, also zu Billigausgaben neigen, aus dem Gedächtnis der Nachwelt verschwin-den werden. Wir wissen noch nicht genau, ob das gut oder schlecht sein wird, zumal heute Publikationen, die von großen Verlagen zum Preis von 300 Dollar exklusiv für die Bibliotheken gemacht werden, nicht selten Publikationen auf Kosten des Autors sind, des
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