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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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er nicht an seiner Seite hatte. Seine sechs Töchter und seine Frau, die eine Muschelsuppe zaubern konnte, dass man glaubte, im Himmel zu speisen. Er meinte fast, dass frisch gebackene Brot brechen zu hören, doch dann richtete er sich abrupt auf, knipste schnell die kleine Leselampe über seinem Kopf aus und lauschte angespannt in die mit karierten Vorhängen abgedunkelte Fahrerkanzel. Hatte er die Türen abgeschlossen? Er strich sich über einen Stoppelbart, den er unbedingt noch abrasieren musste, bevor er nach Hause kam. Ganz vorsichtig, ohne viel Krach zu machen, krabbelte er nach vorn und hockte sich zwischen die beiden großen Sitze neben die Gangschaltung, als erneut ein komisches Geräusch sein Herz schneller schlagen ließ. Wie oft hatte seine Frau ihm nahegelegt, ihn geradezu bekniet, sich eine Waffe zuzulegen. Immerhin transportierte er enorme Summen hinten auf seinem Schlepper. Kleinere Edel-Jachten, Speedboote, Motorboote, allesamt Einzelstücke, die von edler Ausstattung waren, gefertigt in den Werften Osteuropas für die betuchten Klienten, die im Sommer ihre Häuser an der Cote D‘Azur bewohnten und gerne segeln gingen oder schlicht angeben wollten. Doch Jean-Luc hatte ihr immer aufs Neue versichert, dass er dergleichen nicht brauchte. Es gebe keine Bootsmafia, die ganze Lkws stehle, den Fahrer verletze und zurückließ, um dann irgendwo in einer geräumigen Garage das Schiff umzulackieren und erneut zu verkaufen. Das machten sie mit Luxusautomobilen, aber doch nicht mit Jachten! Doch nun war sich Jean-Luc nicht mehr so sicher.
    Er hätte auf einer belebten Raststätte parken sollen, neben hunderten von Kollegen, die gegenseitig auf sich aufpassten, nicht in dieser Einöde. Aber ihm waren die Augen beinahe zugefallen. Bei Nacht und immer wieder bei Regen und Schnee zu fahren, war sehr anstrengend und so hatte er die nächstbeste Parkbucht genommen. Verdammt, und nun saß er zwischen den Sitzen und hatte Angst. Aber hätte er sich mit einer Waffe in der Hand besser gefühlt? Er schüttelte den lockigen Kopf und verneinte dies innerlich.
    In Zeitlupe beugte er sich nach vorn und schob behutsam den Vorhang beiseite, um einen Blick nach draußen zu riskieren. Nichts. Büsche, Bäume, nicht weit entfernt ein hölzerner Picknicktisch mit Bänken davor, die nass im flüchtigen Licht glänzten, wenn Autos vorbeifuhren. Alles ruhig und keine Mafia. Sein Atem beruhigte sich wieder. Er überlegte, ob er nicht einfach doch noch bis zur nächsten Raststätte fahren sollte. Hier würde er jetzt kein Auge mehr zu bekommen. Da fuhr er doch lieber noch ein Stündchen oder zwei. Eine Cola hatte er noch in seinem Außenkühlschrank. Das würde ihn wach halten. Er wollte gerade den Vorhang zufallen lassen und hatte auch schon einen suchenden Blick nach seiner Hose geworfen, da sah er etwas zwischen den Bäumen und dann hörte er auch etwas. Zwei Schatten sprangen sich gegenseitig an, der eine massig und schwer, der andere so dürr und grotesk, dass ihm augenblicklich das Herz bis in den Hals schlug und sein Magen nach unten sackte. Keuchend warf er sich auf den Fahrersitz, sämtliche Namen seiner Töchter murmelnd, und fingerte aufgeregt nach dem Zündschlüssel.
    Die Töne, die nun gedämpft zu ihm drangen, waren grauenerregend. Als stürzten sich zwei Fabelwesen aufeinander, als kämpfte ein Werwolf mit einem Dämon. Hohes Klackern, unterbrochen von tiefem Brüllen. Er glaubte sogar, das metallische Singen zu vernehmen, wenn Schwerter sich kreuzten, und das Krachen von Äxten auf Schilden.
    Sein ganzer Leib verkrampfte sich, die Haare standen ihm zu Berge. Sein zittriger Fuß rutschte vom Pedal, er hatte ja nicht einmal Socken an. Kurz dachte er, sein ganzer Lkw würde schwanken, als habe sich etwas dort hinaufgeschwungen, doch kein Stampfen über ihm auf dem Dach war zu hören, kein abgrundtiefes Wesen stand auf dem Trittbrett seiner Türen, um durch die Scheibe zu springen. Endlich heulte der Motor mit einem mächtigen Brummen auf. Jean-Luc riss die Vorhänge auf der Fahrerseite beiseite, knallte knirschend den ersten Gang hinein und gab Gas. Die Bremsen zischten, das riesige Gefährt machte einen bockigen Satz nach vorn. Nur weg von diesem Höllenort. Lief da jemand hinter seinem Lkw her? Er hatte nur etwas Dunkles im Außenspiegel gesehen. Warum fuhr die verdammte Karre nicht schneller? Zweiter, dritter Gang, 'rauf auf die verfluchte Autobahn. Dann sah er, wie etwas - Himmel, war das ein Körper? - hinter dem
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