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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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dort hineinschlich. Sie konnte nicht mehr, sie wollte nicht mehr. Dann empfing sie ein lichter Wald, dessen Bäume soweit auseinander standen, als hätten sie das absichtlich getan.
    Die Übelkeit wurde zu einem einzigen dichten Gedanken, der nur noch zwischen ihren Schläfen hämmerte und immer mehr Willenskraft verschlang, bis sie nicht mehr konnte und im Laufen auf den nassen, von Laub übersäten Boden kotzte, würgte, glaubte, ihre Galle würde ihr bis an den Gaumen schlagen und jeden Moment im Gras landen.
    Ein Wort, das wie Papa klang, hallte irgendwo in ihrem Geist. Sie versuchte, sich zu erinnern, aber alles driftete in einen klebrigen Nebel.
    Liran hielt an und fing sie auf, da jeder Muskel in ihrem Körper müde war und ihre Beine einfach nachgaben. Sie fühlte Tränen über ihre Wangen laufen. Se waren grau, so undurchsichtig und fremd.
    «Komm hoch!» Sie hörte die energische Stimme, aber sie glaubte ihr nicht. Wieder musste sie würgen und sich übergeben. Es kam wie eine Welle. Alles fing an, sich zu drehen, es gab nichts mehr, das Halt bot, jeder Blick löste sich auf zu einem geometrisch völlig falschen Bild, in dem ihre Beine steckten und versanken.
    Sie spürte, wie Liran sie auf seinen Rücken wuchtete. Wie ihre Beine kurz frei baumelten doch dann plötzlich Halt fanden, wie sie ihre Arme um seinen Hals schlang und den Kopf in einen Nacken legte, der so weich wie ein Federkissen war.
    Liran huschte durch das Unterholz, als hätte er das schon hunderte Male getan, und obwohl sie schon seit einer guten halben Stunde liefen, Bäumen auswichen, sich duckten, über Gräben oder Wurzeln sprangen, hörte sich sein Atem beruhigend langsam und gleichmäßig an. Ihre Augen wurden schwer wie alte Erinnerungen, Bilder ohne Zeit, wie zehntausend wache Tage. Noch mehr Tränen rannen aus ihren Augen. Sie waren so schwer.
     
    Liran zog und zerrte, aber er wusste, dass dies nur ein Teil jenes Weges war, der einfach kommen musste. Nilahs Handgelenk war so schmal, dass er ganz mit seinen Fingern darum fassen konnte. Als sie über das geerntete Feld kamen und sie immer mehr strauchelte, er ihr Würgen und Spucken hörte, da konnte er sich nicht mehr davor verschließen, dass es begonnen hatte.
    Als sie den Wald erreichten und sie wirkte, als habe man sie aus der Zeit herausgehoben, so verwirrt war ihr Blick, da schnaufte er abermals verlassen. Er wusste, dass Enyas Zauber nicht ohne Ziele gewesen war. Vielleicht hatte sie damals nie bedacht, was ihre Magie durchmachen musste, aber sie hatte anscheinend darauf vertraut, dass sie so oft helfen würde, wie sie nur konnte, wenn es an der Zeit war.
    Er hievte Nilah auf seinen Rücken, befahl Akkosh, zwei stabile Zweige aus seinen Waden wachsen zu lassen, auf die sie ihre Füße stellen konnte, und fühlte dann, wie sie ergeben ihre Arme um seinen Hals schlang, wie ein zu Tode erschöpftes Wesen.
    Er rieb die Hände über sein Gesicht und atmete intensiv den Duft von Holz, Federn und Fell ein. Er war ein Fian, also würde es nicht schaden, sich auch wie einer zu benehmen.
    So setzte er seine Schritte, wie es einst von ihm verlangt wurde, ließ sie schneller werden und abermals schneller, bis der Wald an ihm vorbeiflog wie ein Schemen. Er spürte sie durch seinen Rücken hindurch, so nah, so unendlich nah. Dann fühlte er plötzlich etwas Warmes an seinem Hals entlangrinnen.
    «Das alles ist so groß!», flüsterte sie in seine Haut. «Du bist so groß, die Welt ist so groß …und ich, ich fühle mich klein, so klein und … müde.»
    Er lief weiter. Nicht stehen bleiben! Doch auch ihm rannen nun die Tränen über die Wangen. Tränen der Wut, der Hilflosigkeit, der Einsamkeit und des ewigen Versteckens.
    «Wenn man Angst hat, Nilah, ist alles wie ein Berg, der bis in die Wolken reicht», antwortete er. Seine Stimme brach fast. «Aber ich bin hier, und ich werde nicht weichen, selbst wenn die Sonne aus dem Himmel stürzt...»
    «Ich … mein Bauch tut weh. Es tut mir so leid …»
    «Ich bin da, Nilah, ich bin da. Nilah?» Konnte sie ihn noch hören? Ahhhh, Sunabru, was immer Du ihr angetan hast, das hast Du mir angetan. Ich werde Dir dein verfluchtes Herz aus der Brust reißen und es in Stücke hacken!
    «Nilah?» Der Körper auf seinem Rücken wurde schlaff, und nur Akkosh konnte ihn noch halten.
    «Ich bin da, ich bin da, ich bin da …» Immer wieder sagte er das. Er konnte nicht aufhören, diese Worte zu sagen, sie durch seine Lippen gleiten zu lassen, sie wie ein
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