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Die Beste Zum Schluss

Titel: Die Beste Zum Schluss
Autoren: Michel Birbæk
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musiksynchrones Feuerwerk und hat seinen neuen Namen von einem hellen Kopf erhalten, damit ältere Kölner nicht befürchten, dass die Alliierten noch eine Runde Brandbomben spendieren.
    »Entschuldigen Sie!« Eine Frau um die fünfzig, in einem Kleid für Dreißigjährige, wedelt am Nebentisch mit ihrer Hand herum. »Sie da… Ja, Sie mit der Zigarette!«
    Ich starre sie an.
    »Herrgott, ich stehe auf dem Oberdeck eines Schiffes mitten auf dem verfluchten Rhein! Was soll ich machen, ein Viereck auf den Boden malen und mich reinstellen?«
    Sie deutet auf meinen Ärmel.
    »Sie brennen sich gerade ein Loch in den Anzug.«
    Ich folge ihrem Fingerzeig und sehe, dass meine Zigarette tatsächlich gerade ein Loch in den Ärmel meines Anzugs schmort. Scheiße. Ich werfe die Kippe über Bord und begutachte das Loch. Ich kann mein Hemd sehen. Endlich Durchblick.
    Ich schaue die Frau an.
    »Tut mir leid.« Ich versuche ein Lächeln. »Es gibt so Tage.«
    Sie nickt.
    »Wochen«, verbessere ich mich. »Eigentlich Monate.«
    Sie dreht mir den Rücken zu. Ihre männlichen Begleiter gucken böse. Alles klar. Ich schnappe mein Glas und ziehe Richtung Backbord. Die Musik schwillt an. Gleich geht das Feuerwerk los. Am Rhein entlang und auf den Schiffen sind Boxen aufgebaut. In den nächsten Minuten werden über eine Million Menschen dieselben Lieder hören. Gut, das passiert in Köln öfter, aber diese hier sind auf das Feuerwerk abgestimmt.
    Es knallt! Ein unfassbar vielstimmiges Ohhh dringt aus Tausenden Kehlen. Alle schauen in den Himmel. Ich nutze das, um mich bis zur Reling durchzuschieben, wo man einen grandiosen Ausblick hat. Direkt vor uns treibt eine mit Sand gefüllte Barke, die Raketen abfeuert. Bei vielen Feuerwerken geht es darum, möglichst laut und bunt zu sein, aber dieses hier folgt einer Dramaturgie. Es kracht und donnert, während die Musik auf- und abschwillt. Der Himmel hängt voller Sterne, und die Raketen hüllen alles in vierfarbige Wolken. Ein schöner Anblick. Erinnert mich an Silvester. Und Silvester erinnert mich an Freunde. Und Freunde wären jetzt echt schön.
    Noch mehr Raketen. Immer wenn man denkt, mehr geht nicht, legen die noch einen drauf. Am anderen Ufer brandet Jubel auf. Auch das passiert in Köln öfter, aber jetzt stimmen die unzähligen Menschen auf den Schiffen und den überfüllten Brücken ein und legen einen atonalen, berührenden Begeisterungsteppich über den Rhein. Alle gucken staunend in den Himmel, fotografieren und freuen sich. Wie das wohl von oben aussieht? Was würde ein Alien denken, wenn eins vorbeiflöge? Dass die Menschheit einen Haufen Spaß hat und sich alle lieben? Aber, he, warte mal, wer ist denn dieser mies gelaunte Typ an der Reling? Und wieso bumst seine Ex jetzt einen Zweitligakicker?
    Ich nehme einen Schluck aus dem Glas und merke, dass es leer ist. Als ich mich nach der Bedienung umschaue, blicke ich in ein Frauengesicht, das mich fassungslos anstarrt.
    »Mads?«
    Vor mir steht eine schlanke Frau mit blondem Strubbelkopf. Die Raketen werfen flackernde Schatten auf ihr Gesicht, aber dieses Scheißegallächeln ist unverkennbar. Grundgütige r !
    » rene !!«
    Eine Sekunde später liegen wir uns in den Armen.
    »Mann, das gibt’s doch nicht!!«, brülle ich und schlenkere sie herum.
    »Hey! Wir gehen gleich über Bord!«, lacht sie.
    »Mann, das gibt’s doch nicht!«, wiederhole ich. Ich glaube, ich sage das noch oft, bevor ich sie wieder loslasse. Es ist nicht zu fassen. Meine Jugendfreundin. Da steht sie. Direkt vor mir. Sie trägt ein weißes Hemd zum schwarzen Anzug und grinst von einem Ohr zum anderen.
    »Was zum Teufel machst du hier?«, platze ich heraus.
    »Arbeiten.« Sie breitet die Arme aus. »Das hier ist mein Werk.«
    Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
    »Du bist Pyrotechnikerin?«
    »Presseagentin. Das hier ist mein erster großer Auftrag.«
    »Gratuliere.«
    »Danke!«
    Über uns schwillt das Feuerwerk zu einem letzten donnernden Crescendo an, das einem die Eingeweide verdreht. Alles wird in Farben und Licht getaucht. Keiner von uns schaut hoch, wir scannen uns. Wiedersehens- c t . Wir haben uns fünfzehn Jahre nicht mehr gesehen, seitdem ich sie in Aachen zum Bahnhof brachte und ihr viel Glück in Berlin wünschte. Sie sieht aus, als hätte sie in der Zwischenzeit einiges erlebt. In ihrem Gesicht befinden sich Falten, die ich nicht kenne, aber das ist bloß ihr Äußeres. Wirken tut sie immer noch wie damals, fit, energiegeladen und wach, auch wenn sie
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