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Die Beschleunigung der Angst

Die Beschleunigung der Angst

Titel: Die Beschleunigung der Angst
Autoren: Andreas Acker
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letzte
Treppenstufe vor dem Abgrund, die erstaunlich stabil war, und leuchtete mit der
Taschenlampe in den Schlund hinab.
    Yvonnes verdrehter Körper
erinnerte ihn an eine dieser Drahtpuppen, deren Gelenke jemand konsequent in
die Gegenrichtung verbogen hatte.
    Ihre Augen spiegelten das
Licht der Taschenlampe, sie zwinkerte nicht, blickte durch ihn hindurch zum
Dach der Ruine. Eine Blutlache breitete sich um ihren Kopf aus, füllte den Raum
zwischen den Haaren.
    Karla trat neben ihn, sah
ebenfalls auf Yvonne.
    »Glaubst du an Schicksal? An
ausgleichende Gerechtigkeit?«
    Daniel sah sie an.
    »Ich weiß nicht. Du?«
    Karla zuckte die Schultern.
    »Lass uns gehen.« Sie sah
ihm direkt in die Augen. »Auf jeden Fall sollten wir die Dienstbotentreppe
nehmen.«
    War da ein Lächeln gewesen?
Nein, das musste er sich eingebildet haben.
    Also nahmen sie die schmale
Treppe im hinteren Bereich des Hauses. In der Eingangshalle angekommen, konnten
sie durch die offene Haustür sehen, wie weit der Morgen bereits fortgeschritten
war. Einzelne Bäume waren mittlerweile auszumachen, keine Wand aus Holz mehr,
die sich schwarz gegen einen nachtblauen Himmel abhob.
    Der Hof wirkte ruhig, fast
friedlich, sah man von Xerxes‘ zerschmettertem Körper ab. Er hatte sich im Flug
gedreht, so dass er auf den Rücken gefallen war und sich so das Heft der
Machete noch tiefer in den Leib gerammt haben musste. Daniel konnte nicht
behaupten, dass ihm das sonderlich leid tat.
    Jetzt, wo sie draußen waren,
fühlten sie sich, als fiele ein Schatten von ihnen ab. Sie hatten Furchtbares
miterlebt, und sie hatten Furchtbares getan. Doch hier, an der Schwelle eines
neuen Tages, den man nicht mehr gehofft hatte zu erleben, konnten sie für einen
Moment vergessen.
    »Setzt du dich schon mal in
den Geländewagen? Ich muss noch kurz was erledigen.« Karla sah nicht sonderlich
begeistert aus, zuckte jedoch die Schultern und nickte.
    »Beeil dich bitte.«
    Er begleitete Karla zum
Wagen ihres verhassten und nun in einem zu engen Lederkostüm im Ballsaal
verwesenden Onkels und half ihr auf den Beifahrersitz.
    »Bin sofort wieder da.«
    Er spurtete zum Kofferraum
der Limousine und versuchte ihn zu öffnen. Verriegelt. Richtig. Er erinnerte
sich an den Leibwächter, der den Wagen per Knopfdruck verschlossen hatte.
    Scheiße. Aber irgendwie
passend zur letzten Nacht.
    Er rannte um das Haus herum
zum Bodyguard. Der abgetrennte Arm des Mannes lag nicht weit entfernt von
seinem Körper. Daniel versuchte, den gespaltenen Kopf nicht zu beachten, sah
aber doch einiges, auf das er zu gerne verzichtet hätte. Er unterdrückte einen
Brechreiz, während er die Taschen des Bodyguards durchsuchte. Ein Klimpern in
der Hemdtasche zeigte ihm, wo er den Schlüssel finden konnte. Daniel nahm ihn
an sich und wollte sich abwenden, als ihm noch etwas einfiel.
    Er klopfte die Hosentaschen
des Mannes ab. Als er schon glaubte, sich geirrt zu haben, fanden seine Finger
einen rechteckigen Gegenstand. Er grinste.
    Xerxes hatte den Bodyguard
in den Ballsaal geschickt, um das Band zu holen. Und diesem Befehl war er
nachgekommen. Nur hatte er seinen Boss angelogen und gesagt, dass das Band
nicht mehr dort gewesen sei.
    Sieht so aus, als hätte
Xerxes den Kerl hier nicht so im Griff gehabt, wie er meinte. Vielleicht hatte
der Leibwächter ein Druckmittel gegen Xerxes gebraucht, vielleicht wollte er
den Mord an Keiler auch nur in sein persönliches Best of - Video schneiden.
Daniel wusste es nicht.
    Er wusste allerdings, dass
sich die Polizei sehr dafür interessieren würde.
    Den Autoschlüssel in der
einen, das Videoband in der anderen Hand ging er zurück auf die Vorderseite des
Hauses. Aus dem Geländewagen drang Musik. Karla hatte das Radio angemacht.
Lässige Housemusik drang an seine Ohren. Thomas hätte es gefallen. Und auch für
ihn hörten sich diese Klänge, mit denen er sonst überhaupt nichts anfangen
konnte, erstmals wie Musik an. Das musste er unbedingt Thomas erzählen. Sein
Freund wäre stolz auf ihn.
    Thomas.
    Halte durch, altes
Schlachtross.
    Er ging zur Limousine und
entriegelte den Kofferraum. Der Koffer lag dort, als wenn er darauf wartete,
geöffnet zu werden. Daniel tat ihm den Gefallen. Und schlug ihn wieder zu,
überwältigt von dem, was er im Inneren des mit weißer Seide ausgeschlagenen
Behälters gesehen hatte.
    »Das gibt es doch nicht«,
sagte er und stützte sich mit beiden Händen am Kofferraumdeckel ab. Nach einer
Minute öffnete er den Koffer ein zweites Mal,
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