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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition)
Autoren: Mo Hayder
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Schreibtisch und beobachtete ihn, als er aus dem Büro trat. Sie trug ein luftiges Sommerkleid, hatte die Schuhe abgestreift und versperrte ihm mit einem Bein den Weg. Er blieb stehen und betrachtete etwas verlegen ihren nackten Fuß. Sie lächelte ihn an, und er ahnte schon, was als Nächstes kommen würde. »Marilyn …«
    »Sie sind einfach brillant, Jack.« Obwohl niemand in Hörweite war, beugte sie sich ein wenig zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Sie sind sogar absolute Klasse. Gott sei Dank, haben Sie dieses verdammte Schwein aus dem Verkehr gezogen.«
    Caffery stand verlegen da und mied ihren Blick. Er hatte eine Hand in die Tasche geschoben und kratzte sich mit der anderen verlegen im Nacken. Trotzdem verkniff er sich die Bemerkung: Nein, Marilyn, Sie verstehen ganz und gar nicht, was mit mir los ist. Sie haben nicht den geringsten Schimmer, wie es um mich steht.
    »Danke, Marilyn, sehr nett von Ihnen.«
    »Keine Ursache.« Sie holte eine Plastiktüte aus ihrem Schreibtisch und wühlte darin herum. »Orangenplätzchen?«
    »Nein, ich …«
    »Verdammt noch mal, Jack, jetzt stellen Sie sich nicht so an.« Dann hielt sie ihm eine Tupperware-Schüssel entgegen. »Die sind für Sie und Rebecca – seien Sie so lieb.« Sie war unerbittlich. »Los, nehmen Sie schon, genieren Sie sich nicht.«
    Er schüttelte den Kopf, lächelte sie von der Seite an und seufzte: »Mein Gott, Marilyn, geben Sie denn niemals auf?« Dann nahm er den Behälter entgegen. »Na ja – haben wir wenigstens unterwegs was zu knabbern. Vielen Dank auch.«
     
    Ein strahlend blauer Tag: genau das richtige Wetter zum Tennisspielen – oder um am Ufer eines Sees im Gras zu liegen. Caffery steuerte den Wagen auf der M11 Richtung Norden und war froh, dass er London endlich hinter sich lassen konnte. Rebecca hatte die Wanderschuhe, ihre Farben, eine Staffelei und Kryotos’ Orangenplätzchen im Kofferraum verstaut. Sie trug ein grünes Kleid und eine neue Ray Ban und saß schweigend neben ihm und betrachtete die Baumreihen auf den Hügelketten in der Ferne und die in der Sonne blitzenden Traktoren auf den Feldern. Schon die ganze Woche trug sie jetzt ihren sich selbst verordneten Frohsinn zur Schau. Und sie war fest entschlossen, sich von ihrem Vorsatz nicht abbringen zu lassen, auch wenn ihr mitunter gewisse Zweifel kamen.
    Caffery bog von der Hauptstraße ab, und kurz darauf rollten sie bereits über aufgeplatzte enge Nebenstraßen mit Begrenzungspfählen aus Zement. Rechts und links Weidezäune. Fast wie ein aufgelassener Truppenübungsplatz, die Gegend. »Schau mal.« Er drosselte das Tempo. »Da drüben – das ist ihr Haus.«
    Sie fuhren langsam an einer unauffälligen Abzweigung vorbei. Rebecca lehnte sich aus dem Fenster und inspizierte die schmale Zufahrt. An einem Tor hing ein verrottetes Schild, und dahinter verlor sich der Weg allmählich zwischen den Bäumen. Ein Stück weiter entdeckte Rebecca einen verlassenen Steinbruch, dessen Außenwände von langen rostfarbenen Adern durchzogen wurden. Weiter oben unter den Bäumen stand ein ausrangierter Wohnwagen, über den gerade einige Fasane hinwegstrichen. Sie kurbelte das Fenster wieder nach oben, und Jack gab Gas, und so fuhren sie weiter Richtung Bury. Rebecca sprach ein stilles Stoßgebet und flehte zum Himmel, dass Jack nicht die Nerven verlieren möge – was immer der Tag auch bringen mochte.
    Das Zentrum von Bury St. Edmunds war ein einziges Blumenmeer: In den Blumenkästen an den Fenstern wuchsen Vergissmeinnicht, und an den niedrigen Gartenmauern wucherten Rosen, Pfingstrosen und Akeleien empor. Als sie in den Ort hineinfuhren, schlugen in dem normannischen Turm der Abtei gerade die Glocken. Sie parkten direkt neben dem Gericht, besorgten sich in einem Laden zwei Becher Kaffee und warteten im Freien auf den Beginn der Verhandlung gegen Tracey Lamb.
    »Wird schon gut gehen«, sagte Rebecca. Sie standen ein wenig versteckt hinter dem weißen Gefängniswagen, der vor dem Gebäude abgestellt war. Caffery wollte nicht von den jungen Anwälten gesehen werden, die in dem knirschenden Kies auf und ab gingen, in ihre Handys sprachen oder Golfschläge übten. Möglich, dass er einen der Männer kannte. »Ich bin sicher, dass es klappt, Jack. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wenn der Richter von den Videos erfährt, lässt er diese Lamb bestimmt nicht wieder raus.«
    »Hm, ich weiß nicht.« Entweder lag es an dem Kaffee, oder aber er war nervöser, als ihm bewusst war.
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