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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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irgendeinem Sessel zusammengesunken und denke noch immer an nichts. In meinem Kopf ist die totale Leere. Ich weiß nicht, ob ich in meinem Büro oder in dem von jemand anderem bin. Ich sehe Diplome an den Wänden, sehe die zugezogenen Vorhänge am Fenster, sehe Schatten, die im Korridor kommen und gehen, aber es ist, als finde das alles in einer Parallelwelt statt, aus der man mich ohne Vorwarnung und rückhaltlos herauskatapultiert hat.
    Ich fühle mich elend, verwirrt und kraftlos.
    Ich bin ein einziges blutendes Herz, auf dem ein bleiernes Gewicht lastet, bin unfähig zu sagen, ob ich mir des Unglücks, das mich getroffen hat, überhaupt voll bewusst bin oder ob es mich bereits vernichtet hat.
    Eine Schwester hat mir ein Glas Wasser gebracht und sich auf Zehenspitzen zurückgezogen. Naveed ist nicht lange bei mir geblieben. Seine Männer haben ihn abgeholt. Wortlos und mit gesenktem Kopf ist er ihnen gefolgt. Auch Ilan Ros ist auf seine Station zurückgekehrt. Nicht einmal er ist gekommen, um mich zu trösten. Erst sehr viel später ist mir aufgefallen, dass ich allein im Büro war. Ezra Benhaim betrat, zehn Minuten nachdem ich in der Leichenkammer war, den Raum. Er befand sich in einem Zustand fortgeschrittenen Verfalls und taumelte vor Müdigkeit. Er hat mich in die Arme genommen und kräftig gedrückt. Er hatte einen Kloß im Hals und fand keine Worte, die er mir hätte sagen können. Dann kam Ros und nahm ihn beiseite. Ich sah sie im Korridor miteinander reden. Ros flüsterte ihm etwas ins Ohr, und Ezra hatte immer mehr Mühe, dabei noch den Kopf zu schütteln. Er musste sich an die Wand lehnen, um Halt zu finden, danach hab ich ihn aus den Augen verloren.
    Ich höre Fahrzeuge in den Hof einfahren, Wagentüren, die zugeschlagen werden. Gleich darauf hallen Schritte durch die Korridore, begleitet von Geraschel und Gebrumm. Zwei Schwestern eilen vorüber und schieben an ausgestreckten Armen eine Liege vor sich her. Schritte ertönen auf der Etage, füllen den Gang, kommen näher; Männer mit strengen Mienen bauen sich vor mir auf. Einer von ihnen, kurzbeinig und mit hoher Stirn, löst sich aus der Gruppe. Es ist der Schläger, der sich darüber beschwert hatte, dass er eine Leiche am Hals habe und wollte, dass ich sie identifiziere.
    »Ich bin Hauptmann Moshe .«
    Naveed Ronnen steht zwei Schritt hinter ihm. Er sieht mitgenommen aus, mein Freund Naveed. Die Ereignisse scheinen ihn völlig überrollt zu haben. Trotz der Schulterstücke, die ihn als hohen Beamten ausweisen, ist er plötzlich in die Rolle des Statisten geraten.
    Der Hauptmann schwenkt ein Dokument.
    »Wir haben einen Durchsuchungsbefehl, Herr Doktor
    Jaafari.«
    »Einen Durchsuchungsbefehl …?«
    »Sie haben richtig gehört. Ich bitte Sie, uns zu sich nach Hause zu begleiten .«
    Ich suche nach dem vertrauten Blick von Naveed, doch mein Freund schaut zu Boden.
    Ich wende mich an den Hauptmann. »Warum zu mir?«
    Der Hauptmann faltet das Dokument zusammen und schiebt es in die Innentasche seines Jacketts.
    »Nach den ersten Untersuchungsergebnissen weist die Art der Verstümmelung Ihrer Frau die typischen Verletzungen fundamentalistischer Selbstmordattentäter auf .«
    Ich höre wohl die Worte, die er sagt, der Offizier, doch ich erkenne keinen Sinn darin. Eine Region in meinem Hirn ist blockiert, ähnlich einer Muschel, die sich, wenn Gefahr von außen naht, blitzartig verschließt.
    Naveed erklärt es mir. »Es handelt sich nicht um eine Bombe, sondern um einen Selbstmordanschlag. Alles deutet darauf hin, dass die Person, die sich im Restaurant in die Luft gesprengt hat, deine Frau ist, Amin .«
    Der Boden tut sich unter mir auf. Trotzdem breche ich nicht ein. Aus Unwillen. Oder aus Selbstverleugnung. Ich will kein Wort von alldem mehr hören. Ich erkenne die Welt, in der ich lebe, nicht mehr wieder.

    Die Frühaufsteher hasten den Bahnhöfen und Bushaltestellen entgegen. Tel Aviv erwacht, dickschädeliger denn je.
    Wie groß das Ausmaß der Zerstörung auch sein mag, die Erde wird nicht aufhören, sich zu drehen.
    Ich bin zwischen zwei Kerlen auf dem Rücksitz des
    Polizeiautos eingezwängt und betrachte die Gebäude, die beidseits an uns vorüberziehen, die erleuchteten Fenster, hinter denen sich hier und da flüchtig chinesische Schatten abzeichnen. Das Dröhnen eines Lastwagens tönt durch die Straße wie der Schrei einer Chimäre, die man im Schlaf gestört hat, dann herrscht wieder die verschlafene morgendliche Stille eines Werktags. Ein
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