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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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Mikrophons und bittet die Gläubigen, Ruhe zu bewahren, es könne sich auch um einen Fehlalarm handeln. Zwei Geländewagen fahren vor. Die Gläubigen beginnen, aus der Moschee zu strömen.
    Sie nehmen mir die Sicht auf den Frauenflügel. Ich will jetzt nicht noch einmal um den Häuserblock herumlaufen, am Ende könnte ich Faten noch verpassen, falls sie tatsächlich aus dem Hintereingang kommt. Ich beschließe, mich am Vordereingang vorbei durch die Menge zu schieben und den Frauenflügel direkt anzusteuern … »Gebt den Weg frei. Bitte geht zur Seite !« , ruft ein Widerstandskämpfer.
    »Macht Platz für den Scheich …« Die Gläubigen drängeln, stoßen einander in die Rippen, um aus der Nähe einen Blick auf den Scheich zu erhaschen, einen Zipfel seines kamis zu berühren. Die gewaltige Woge der Menge hebt mich an, als der Imam plötzlich auf der Schwelle zur Moschee erscheint. Ich versuche erfolglos, mich von den Leibern in Trance, zwischen denen ich eingezwängt bin, zu befreien. Der Scheich verschwindet in seinem Wagen, hebt die Hand zum Gruß hinter der Scheibe aus Panzerglas, während seine beiden Leibwächter neben ihm ihre Plätze einnehmen … Dann sehe ich nichts mehr. Etwas zuckt am Himmel auf und explodiert im nächsten Moment mitten auf der Straße; die Schockwelle trifft mich mit voller Wucht und reißt die frenetische Menge auseinander, die mich gefangen hält. Im Bruchteil einer Sekunde stürzt der Himmel herab, und die Straße, die eben noch vor religiöser Inbrunst brodelte, versinkt im Chaos. Der Körper eines Mannes, oder ist es der eines Jungen, streift mich in meinem Taumel wie ein seltsamer Blitz. Was ist das …? Eine riesige Welle aus Feuer und Staub erfasst mich, schleudert mich zwischen tausend Geschossen hindurch. Ich habe das undeutliche Gefühl zu zerfasern, zu zerschmelzen im glühenden Hauch der Explosion … Einige Meter entfernt geht das Fahrzeug des Scheichs in Flammen auf. Zwei blutüberströmte Phantome versuchen, den Imam dem Inferno zu entreißen. Mit bloßen Händen nehmen sie das glühende Blech auseinander, zertrümmern die Scheiben, arbeiten sich an den Türen ab. Ich schaffe es nicht, aufzustehen … Das Geheul eines Krankenwagens … Jemand beugt sich über meinen Körper, tastet oberflächlich meine Wunden ab und entfernt sich, ohne noch einmal zurückzukommen. Ich sehe, wie er vor einem verkohlten Körper niederkniet, ihm den Puls fühlt und dann den Bahrenträgern ein Zeichen gibt. Ein anderer Mann kommt herbei, fasst nach meinem Handgelenk, lässt es wieder fallen … »Der ist hinüber …« Im Krankenwagen, der mich abtransportiert, lächelt meine Mutter mir zu. Ich möchte meine Hand ausstrecken, ihrem Gesicht entgegen, doch kein Stück von mir gehorcht mir mehr. Mir ist kalt, mir tut alles weh, ich bin traurig. Der Krankenwagen biegt mit lautem Geheul in den Hof des Krankenhauses. Die Türen werden aufgerissen, die Träger sind wieder da, heben mich hoch und legen mich in einem Gang nieder, direkt auf dem Boden. Krankenschwestern steigen über mich hinweg und laufen hektisch umher. Transportliegen werden in schwindelerregendem Tempo an mir vorbeigerollt, darauf nichts als bloße Wunden, nacktes Grauen. Ich warte geduldig, dass sich jemand um mich kümmert. Ich begreife nicht, warum niemand länger bei mir verweilt; man bleibt stehen, sieht mich an und geht weiter. Das ist nicht normal. Andere Körper sind rechts und links von meinem aufgereiht. Vor manchen haben sich Angehörige versammelt, darunter weinende, kreischende Frauen. Andere sind bis zur Unkenntlichkeit entstellt, nicht zu identifizieren. Nur ein Greis kniet sich vor mir hin. Er ruft den Namen des Herrn an, legt seine Hand auf mein Gesicht, schließt mir die Lider. Schlagartig verlöschen alle Lichter und Geräusche der Welt. Absolute Angst ergreift mich. Warum drückt er mir die Augen zu …? Erst, als es mir nicht mehr gelingt, sie wieder zu öffnen, begreife ich: Das ist es also. Es ist vorbei. Ich bin nicht mehr …
    In einem letzten Aufbäumen versuche ich, mich doch noch in den Griff zu bekommen. Nicht eine Faser vibriert mehr in mir. Da ist nur noch dieses kosmische Rauschen, das langsam in mir hochsteigt, mich schon auslöscht … Dann, plötzlich, in der Tiefe des Abgrunds, ein unendlich winziges Licht … Es zittert, kommt langsam näher, nimmt Gestalt an; es ist ein Kind … das läuft; vor seinem einzigartigen Lauf weicht alles Dunkle und Düstere zurück … Lauf, ruft ihm die Stimme
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