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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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uns vom Gelände. Wir ziehen uns auf einen schorfigen Erdhügel zurück. Omr sitzt eingefallen in seinem Stuhl – ich glaube, er merkt nicht einmal, was um ihn herum geschieht. Er blickt auf das Treiben ringsum, ohne es wirklich wahrzunehmen. Hadscha Najet steht aufrecht und würdevoll hinter ihm, Faten zu seiner Linken, ich zu seiner Rechten. Der Bulldozer legt los, während seinem Schlot dichter Qualm entweicht. Seine rotierenden Stahlraupenketten reißen schnaubend den Boden auf. Die Nachbarn umrunden den Sicherheitskordon, den die Soldaten errichtet haben, und gesellen sich schweigend zu uns. Der Offizier befiehlt einem Trupp seiner Männer nachzusehen, ob auch wirklich niemand mehr im Innern des Gebäudes ist. Nachdem er sich vergewissert hat, dass das Haus leer steht, gibt er dem Bulldozerfahrer ein Zeichen. In der Sekunde, in der die kleine Umfassungsmauer zusammenbricht, packt mich eine unbändige Wut und lässt mich gegen die Maschine anrennen. Ein Soldat stellt sich mir in den Weg. Ich stoße ihn beiseite und stürze auf das Monster zu, das dabei ist, meine Geschichte zu verwüsten. »Schluss! Aus! Aufhören !« , brülle ich. »Halten Sie sich zurück !« , bremst mich der Offizier. Ein Soldat geht dazwischen, rammt mir seinen Gewehrkolben ans Kinn, und ich falle zu Boden wie ein Stück Stoff, das man fallen lässt.

    Ich habe den ganzen Tag auf dem Hügel zugebracht und auf den Trümmerberg gestarrt, der einst, Lichtjahre entfernt, mein Schloss unterm Sternenhimmel war, als ich selbst noch ein kleiner Prinz auf nackten Füßen war. Mein Urgroßvater hat es mit eigenen Händen erbaut, Stein für Stein. Etliche Generationen sind dort herangereift, mit Augen weiter als der Horizont. Etliche Hoffnungen haben sich vom Nektar seiner Gärten genährt. Und es hat nicht mehr als einen lächerlichen Bulldozer gebraucht, um in wenigen Minuten die ganze Ewigkeit zu Staub zu zermahlen.
    Gegen Abend, während die Sonne sich drüben, hinter der Mauer, verbarrikadiert, kommt ein Cousin, um mich zu holen.
    »Es bringt nichts, noch länger hier zu bleiben«, sagt er,
    »was geschehen ist, ist geschehen .«
    Hadscha Najet ist zu ihrer Tochter nach Tubas zurückgekehrt.
    Der Stammesälteste hat bei einem Urenkel Zuflucht gefunden, in einem Weiler in der Nähe der Obstgärten.
    Faten hat sich in undurchdringliches Schweigen gehüllt.
    Sie hat beschlossen, weiterhin beim Ältesten zu bleiben, in der Behausung seines Urenkels. Sie hat sich immer um den Alten gekümmert und weiß, wie anstrengend diese Aufgabe ist. Ohne sie würde Omr nicht mehr lange durchhalten.
    Die anderen würden ihn anfangs gut versorgen und ihn am Ende sich selbst überlassen. Deshalb hat Faten ja auch nie das Haus des Patriarchen verlassen. Omr war gewissermaßen ihr Baby. Doch als der Bulldozer abgezogen ist, da hat er Fatens Seele mitgenommen. Zurückgeblieben ist eine beinahe leblose Frau, stumm und verstört. Ein Schatten, der sich in irgendeinem Winkel vergisst und nur darauf wartet, mit der Nacht zu verschmelzen. Eines Abends ist sie zu Fuß zum verwüsteten Obstgarten hinüber, das Haar offen auf die Schultern fallend – sie, die mit ihrem Schleier so gut wie verwachsen war –, und ist die ganze Nacht dort geblieben, aufrecht vor den Trümmern stehend, unter denen ihre Existenz begraben lag. Sie weigerte sich, mir zu folgen, als ich sie holen kam. Nicht eine Träne rann aus ihren leeren Augen, ihrem glasigen Blick, diesem Blick, der nicht trügt und den ich zu fürchten gelernt habe. Am nächsten Morgen keine Spur mehr von Faten. Wir haben Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um sie wiederzufinden; keine Faten, nirgends. Als er merkt, dass ich mich anschicke, die umliegenden Weiler zu alarmieren, und befürchten muss, die Situation könne sich zuspitzen, nimmt der Urenkel mich beiseite und beichtet mir: »Ich habe sie nach Dschenin gebracht. Sie wollte das unbedingt. Und sowieso lässt sich dagegen kaum etwas tun. Das war schon immer so .«
    »Was meinst du denn damit ?«
    »Ach, nichts …«
    »Was will sie in Dschenin? Und bei wem ist sie ?«
    Der Urenkel von Omr zuckt die Achseln. »Das sind Dinge, die Leute wie du nicht begreifen können«, sagt er und lässt mich stehen.
    Da begreife ich.
    Ich nehme ein Taxi und fahre zurück nach Dschenin, überrasche Khalil bei sich zu Hause. Er glaubt, ich sei gekommen, ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Ich beruhige ihn. Ich will nur wissen, wo ich Adel finde. Der kommt auf der Stelle herbei. Ich erzähle
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