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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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und geglaubt, einen alten Freund vor mir zu haben, der seit einem Jahrzehnt nicht mehr unter uns weilt und mir sehr fehlt. Sie haben seine Gestalt, seinen Gang und jetzt, wo ich Sie mir aus der Nähe besehe, auch einen Teil seiner Gesichtszüge. Sie sind nicht zufällig Amin, der Sohn von Radwan, dem Maler ?«
    »So ist es .«
    »Ich war mir sicher. Unglaublich, wie ähnlich Sie ihm sind. Im ersten Moment habe ich Sie für seinen Geist gehalten .«
    Er reicht mir eine welke Hand. »Mein Name ist Shlomi Hirsh, aber die Araber nennen mich Zeev, den Eremiten. Weil hier in alten Zeiten einmal ein Einsiedler gelebt hat. Meine Hütte liegt dort drüben hinter den Orangenbäumen. Früher habe ich als Händler für euren Patriarchen gearbeitet. Seitdem er seine Ländereien verloren hat, schlage ich mich als Scharlatan durch. Alle wissen, dass ich nicht mehr Macht habe als die Hühner, die ich auf dem Altar verlorener Liebesmüh opfere, doch das scheint niemanden zu stören. Die Leute kommen noch immer und wollen Wunder von mir, die ich beim besten Willen nicht bewirken kann. Ich stelle ihnen für ein paar armselige Schekel bessere Zeiten in Aussicht, und da ich mich damit nicht bereichere, ist keiner mir gram, wenn ich einmal danebentippe .«
    Ich drücke ihm die Hand.
    »Störe ich ?«
    »Jetzt nicht mehr«, beruhige ich ihn.
    »Sehr gut. Hierher verirren sich nur noch wenige. Wegen der Mauer. Sie ist wirklich scheußlich, diese Mauer, nicht wahr? Wie kann man nur etwas derart Grauenhaftes bauen ?«
    »Das Grauen kommt nicht allein durch die Konstruktion .«
    »Das stimmt, aber man hätte sich doch wirklich etwas Besseres einfallen lassen können. Eine Mauer? Was heißt das? Der Jude ist so frei geboren wie der Wind, so uneinnehmbar wie die Wüste Judäas. Wenn er vergessen hat, sein Vaterland abzustecken, so dass man es ihm beinahe weggenommen hätte, dann doch, weil er lange geglaubt hat, das Gelobte Land sei zunächst einmal jenes, wo kein Bollwerk den Blick daran hindert, weiter zu reichen als seine Schreie.«
    »Und die Schreie der anderen, was macht er damit?«
    Der Greis senkt den Kopf. Er hebt ein Stück Erde auf und zerkrümelt es zwischen den Fingern.
    » Was soll mir die Menge eurer Opfer ?, spricht der Herr. Ich bin satt der Brandopfer. «
    »Jesaja 1, 11«, sage ich.
    Der Alte zieht anerkennend die Augenbrauen hoch.
    »Bravo.«
    » Wie geht das zu, dass die treue Stadt zur Hure geworden ist? Sie war voll Recht, Gerechtigkeit wohnte darin; nun aber – Mörder. «
    » Mein Volk, deine Führer verführen dich und verwirren den Weg, den du gehen sollst. «
    » … das Volk wird wie ein Fraß des Feuers; keiner schont den andern. Sie verschlingen zur Rechten und leiden Hunger; sie fressen zur Linken und werden doch nicht satt. Ein jeder frisst das Fleisch seines Nächsten. «
    » Wenn aber der Herr all sein Werk ausgerichtet hat auf dem Berge Zion und zu Jerusalem, will ich heimsuchen die Frucht des Hochmuts des Königs von Assyrien und die Pracht seiner hoffärtigen Augen. «
    »Und wehe, wenn Scharon sich nicht anständig benimmt, amen! «
    Wir brechen beide in lautes Gelächter aus.
    »Du erstaunst mich«, bekennt er. »Woher kennst du denn die Verse des Jesaja ?«
    »So wie jeder Jude Palästinas ein wenig arabisch ist, kann kein Araber Israels von sich behaupten, nicht ein wenig jüdisch zu sein .«
    »Da bin ich ganz deiner Meinung. Aber warum dann so viel Hass bei solcher Blutsverwandtschaft?«
    »Weil wir wenig von den Prophezeiungen begriffen haben und nicht mehr von den elementaren Regeln des Zusammenlebens .«
    Er nickt betrübt.
    »Nun, und was wäre dagegen zu tun ?« , erkundigt er sich.
    »Zunächst einmal dem lieben Gott seine Freiheit zurückzugeben. So lange, wie er schon Geisel unseres Pharisäertums ist …«
    Ein Auto taucht vom Hof her auf, hinter sich eine lange Staubfahne herziehend.
    »Das ist bestimmt für dich«, klärt der Alte mich auf.
    »Wer zu mir will, hat immer einen Esel unter dem Hintern .«
    Ich reiche ihm die Hand, verabschiede mich und steige den Hang zum Fahrweg hinunter.

    Im Haus des Patriarchen herrscht Hochbetrieb. Tante Najet höchstpersönlich ist da. Sie war bei ihrer Tochter in Tubas und ist zurückgekehrt, sobald sie von meiner Heimkehr gehört hat. Trotz ihres Alters hat sie sich kaum verändert. Mit ihren neunzig Jahren ist sie so munter wie eh und je, fest auf beiden Beinen stehend, mit funkelndem Blick und sicheren Bewegungen. Sie ist unser aller Mutter, die
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