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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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Leitung räuspert, höre seinen keuchenden Atem. Langsam werde ich richtig wach und beginne, um mich herum etwas klarer zu sehen.
    Durchs Fenster erkenne ich, wie eine faserige Wolke versucht, den Mond zu umgarnen. Weiter oben Tausende von Sternen, die wie Leuchtkäfer flimmern. Nicht ein Geräusch dringt von der Straße herauf. Man könnte meinen, die Stadt sei evakuiert worden, während ich schlief.
    »Amin …?«
    »Ja, Naveed?«
    »Keine überstürzten Aktionen. Wir haben Zeit .«
    »Wenn es nicht eilt, warum dann … ?«
    »Bitte …«, unterbricht er mich. »Ich warte auf dich .«
    »Einverstanden«, sage ich, ohne zu verstehen. »Könntest du mir einen kleinen Gefallen tun ?«
    »Kommt darauf an …«
    »Gib den Checkpoints und Patrouillen Bescheid, an denen ich vorüber muss. Deine Männer sind mir vorhin, auf der Heimfahrt, ganz schön nervös vorgekommen .«
    »Du hast noch immer diesen weißen Ford ?«
    »Ja.«
    »Ich werde sie informieren .«
    Ich lege auf, starre eine Weile auf den Apparat, beunruhigt durch den merkwürdigen Anruf und den undurchdringlichen Tonfall Naveeds, dann schlüpfe ich in meine Pantoffeln und gehe ins Bad, um mir das Gesicht zu waschen.

    Zwei Polizei-und ein Krankenwagen im Innenhof der Notaufnahme beleuchten einander mit ihrem kreisenden Blaulicht. Nach dem Tumult des Tages liegt das Krankenhaus jetzt wieder still wie ein Totenhaus da. Ein paar Uniformierte harren noch aus, die einen ziehen nervös an ihren Glimmstengeln, die anderen drehen Däumchen im Innern ihrer Fahrzeuge. Ich stelle meinen Wagen auf dem Parkplatz ab und gehe Richtung Empfang. Die Nacht hat sich etwas abgekühlt, und vom Meer steigt verstohlen eine süßlich duftende Brise auf. Ich erkenne die schiefe Silhouette von Naveed Ronnen, hoch aufgerichtet auf einer Treppenstufe. Die eine Schulter zeigt deutlich Schlagseite, dem rechten Bein entgegen, das ein Berufsunfall um vier Zentimeter kürzer gemacht hat, zehn Jahre ist das jetzt her. Ich hatte mich seinerzeit gegen eine Amputation ausgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich gerade nach einer Reihe erfolgreicher Eingriffe erstmals als Chirurg empfohlen. Naveed Ronnen war einer meiner bemerkenswertesten Patienten gewesen. Er besaß eine eiserne Disziplin und einen sicher nicht unumstrittenen, aber unbeirrbaren Sinn für Humor. Die ersten gepfefferten Polizeiwitze, die ich hörte, habe ich von ihm. Später einmal habe ich seine Mutter operiert, und das hat uns einander noch näher gebracht. Seitdem vertraut er mir jeden Kollegen oder Verwandten an, der unters Messer muss.
    Hinter ihm lehnt Doktor Ilan Ros an einer Wand am Haupteingang. Das Licht, das aus der Halle dringt, betont die Grobheit seines Profils. Die Hände in den Kitteltaschen, die Wampe nicht weit von den Knien, starrt er mit abwesendem Blick zu Boden.
    Naveed kommt die Stufe herab auf mich zu. Auch er hat die Hände in den Hosentaschen. Sein Blick weicht mir aus. Sein Benehmen verrät mir, dass die Nacht noch lange dauern wird.
    »Gut«, sage ich aufs Geratewohl, um die Vorahnung, die mich beschleicht, abzuschütteln, »ich geh gleich nach oben, um mich umzuziehen .«
    »Nicht nötig«, entgegnet Naveed mit tonloser Stimme.
    Ich hatte schon oft Gelegenheit, in sein niedergeschlagenes Gesicht zu blicken, wenn er mir einen Kollegen auf einer Trage brachte, aber die Miene, die er heute Nacht aufgesetzt hat, stellt alles in den Schatten.
    Ein Schauer läuft mir über den Rücken und dehnt sich auf meinem ganzen Körper aus.
    »Der Patient ist seinen Verletzungen erlegen ?« , erkundige ich mich.
    Naveed richtet endlich seinen Blick auf mich. Selten habe ich einen unglücklicheren Ausdruck gesehen.
    »Es gibt keinen Patienten, Amin .«
    »Warum hast du mich dann um diese Zeit aus dem Bett geholt, wenn niemand da ist, der operiert werden muss ?«
    Naveed scheint nicht zu wissen, wo er anfangen soll.
    Seine Verlegenheit wirkt ansteckend, denn jetzt beginnt auch noch Doktor Ros nervös zu zappeln. Ich mustere beide, während mein Ärger über dieses Geheimnis, das sie mit wachsendem Unbehagen hüten, immer größer wird.
    »Will mir bitte mal jemand erklären, was hier gespielt wird ?« , frage ich.
    Doktor Ros stößt sich mit einem Hüftschwung von der Wand ab und geht zum Empfang, an dem zwei sichtlich angespannte Schwestern so tun, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt als die Mattscheibe ihres Computers.
    Naveed fasst sich ein Herz und fragt mich: »Ist Sihem zu Hause ?«
    Ich spüre,
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