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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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wie mir die Beine wegzusacken drohen, aber ich fange mich wieder.
    »Warum?«
    »Ist sie zu Hause, Amin ?«
    Seine Stimme ist eindringlich, doch in seinem Blick blitzt schon die Panik.
    Mir ziehen sich die Eingeweide zusammen. Ich möchte schlucken, aber meine Kehle ist zugeschnürt.
    »Sie ist noch nicht von ihrer Großmutter zurück«, sage ich. »Sie ist vor drei Tagen nach Kafr Kanna gefahren, in der Nähe von Nazareth, um ihre Familie zu besuchen …
    Worauf willst du hinaus? Was versuchst du mir beizubringen ?«
    Naveed macht einen Schritt auf mich zu. Seine Ausdünstung vergrößert noch meine Verwirrung. Mein Freund weiß nicht mehr, ob er mich bei den Schultern fassen oder seine Hände bei sich behalten soll.
    »Was ist denn los, verflixt noch mal? Bist du dabei, mich auf das Schlimmste vorzubereiten, oder was? Dieser Bus, den Sihem genommen hat, hat es da unterwegs ein Problem gegeben? Er ist umgestürzt, ja? Das ist es, was du mir sagen willst .«
    »Es geht nicht um den Bus, Amin .«
    »Was ist es dann ?«
    »Wir haben eine Leiche am Hals und müssen ihr einen Namen geben«, sagt ein stämmiger Kerl, der wie ein Schläger aussieht und plötzlich hinter mir auftaucht.
    Ich wende mich hastig Naveed zu.
    »Ich glaube, es handelt sich um deine Frau, Amin«, sagt er zögerlich, »aber wir brauchen dich, um ganz sicher zu sein .«
    Ich fühle mich, als wäre ich dabei, mich aufzulösen …
    Jemand packt mich am Ellenbogen, um zu verhindern, dass ich zusammenbreche. Für den Bruchteil einer Sekunde verflüchtigen sich all meine Gewissheiten. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin, erkenne nicht einmal mehr die Mauern, innerhalb derer sich meine lange Chirurgenlaufbahn vollzogen hat … Die Hand, die mich hält, hilft mir vorwärts durch einen Korridor, der mir vor den Augen verschwimmt. Sein grelles Licht sticht mir ins Gehirn. Mir ist, als würde ich auf einer Wolke oder wie auf Watte gehen. Ich erreiche die Leichenkammer wie ein Deliquent das Schafott. Ein Arzt wacht an einem Altar … Der Altar ist mit einem blutbefleckten Laken bedeckt … Unter dem blutbefleckten Laken lassen sich menschliche Überreste erraten …
    Ich habe plötzlich Angst vor all den Blicken, die sich mir zuwenden.
    Meine Stoßgebete hallen in meinem Inneren wider wie ein tiefes Raunen.
    Der Arzt wartet, bis ich mich ein wenig gefangen habe, dann streckt er die Hand zum Laken aus, auf ein Zeichen des stämmigen Kerls wartend, um es wegzuziehen.
    Der Offizier nickt unmerklich.
    »Mein Gott !« , entfährt es mir.
    Ich habe in meinem Leben oft genug verstümmelte Körper gesehen, habe sie zu Dutzenden zusammengeflickt, manche waren derart entstellt, dass man sie unmöglich identifizieren konnte, doch das da vor mir auf dem Tisch, diese zerfetzten Gliedmaßen, das übersteigt jedes Vorstellungsvermögen. Das ist der Horror in seiner absoluten Scheußlichkeit … Allein Sihems Kopf, seltsam verschont von der verheerenden Verwüstung, die ihren Körper
    entstellt hat, ragt daraus hervor, mit geschlossenen Augen, leicht geöffneten Lippen, friedlichen Zügen, als wäre sie von all ihren Ängsten befreit … Man könnte meinen, sie schlafe friedlich, schlage gleich die Augen auf und lächle mich an.
    Diesmal knicken mir die Beine weg, und weder der fremden noch Naveeds Hand gelingt es, mich aufzufangen.

3.
    I ch habe im Verlauf von Operationen Patienten verloren. Aus solchen Niederlagen geht man nicht völlig unbeschadet hervor. Aber die Prüfung war damit längst nicht ausgestanden; ich musste die furchtbare Nachricht noch den Angehörigen des Verstorbenen überbringen, die mit angehaltenem Atem im Warteraum saßen. Ich werde mich bis ans Ende meiner Tage an ihren angstvollen Blick erinnern, wenn ich aus dem Operationssaal kam. Ein so intensiver und zugleich ferner Blick war das, voll Hoffen und Bangen, stets derselbe Blick, so tief wie das ihn begleitende Schweigen. In genau diesem Moment verlor ich jegliches Zutrauen zu mir. Ich hatte Angst vor meinen Worten, vor dem Schock, den sie auslösen könnten. Ich fragte mich , wie die nächsten Verwandten die Hiobsbotschaft wohl aufnehmen würden, woran sie als Erstes denken würden, wenn sie begriffen hätten, dass das Wunder nicht stattgefunden hatte.
    Heute ist es an mir, die Hiobsbotschaft entgegenzunehmen. Ich glaubte, der Himmel würde einstürzen über mir, als sie das Laken wegzogen von dem, was von Sihem übrig war. Und dennoch habe ich paradoxerweise an überhaupt nichts gedacht.
    Ich bin in
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