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Die Liga der Siebzehn: Unter Strom (German Edition)

Die Liga der Siebzehn: Unter Strom (German Edition)

Titel: Die Liga der Siebzehn: Unter Strom (German Edition)
Autoren: Richard Paul Evans
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    Die Achsel
    I ch fange mit Mr Dallstroms Büro an. Das ist so gut wie alles andere. Oder so schlecht wie alles andere. Mr Dallstrom ist der Direktor der Meridian Highschool, die ich besuche. Wenn man mich fragt, ist die neunte Klasse die Achselhöhle des Lebens. Und da war ich nun, im stinkigsten Teil dieser Achselhöhle – im Büro des Schulleiters. Ich saß in Mr Dallstroms Büro und blinzelte wie verrückt.
    Man kann sich vorstellen, dass ich Mr Dallstrom nicht gerade toll fand. Er hatte diese Angewohnheit, stets das Offensichtliche zu bestätigen. Wie zum Beispiel »Atmen ist wichtig« oder »Reis-Crispy-Kekse sind das tollste Lebensmittel, das jemals erfunden wurde«. Niemand auf der Meridian mochte Mr Dallstrom, außer Miss Duncan, die den Chor leitete. Sie hatte ein Bild von Mr Dallstrom auf ihrem Schreibtisch stehen, das sie manchmal mit zärtlichen Glupschaugen anstarrte. Jedes Mal, wenn Mr Dallstroms Stimme bei einer Lautsprecherdurchsage ertönte, donnerte sie wütend ihren Taktstock auf den Notenständer, um uns zur Ruhe zu bringen. Wenn er fertig war, wurde sie ganz rot, und kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Dann erinnerte sie uns daran, wie glücklich wir uns doch schätzen konnten, von einem solch männlichen und standhaften Verteidiger des öffentlichen Bildungswesens durch die tückische Wildnis der Highschool geführt zu werden.
    Mr Dallstrom ist ein kahler, dünner Kerl, der aussieht wie eine Vogelscheuche mit einem schwammigen Bauchansatz. Stellt euch einen schwangeren Abraham Lincoln vor, nur ohne Bart und mit einem gelben Toupet anstelle eines Huts, und ihr habt euer Bild. Er sieht zudem aus, als wäre er hundert Jahre alt. Mindestens.
    In der fünften Klasse wurden wir von unserer Lehrerin ermahnt, dass die korrekte Bezeichnung für unseren Schulleiter Direktor und nicht Direx wäre. Eigentlich nannten ihn alle T-R ex und glaubt mir, das war die wesentlich passendere Bezeichnung für Mr Dallstrom.
    Ich war schon zum zweiten Mal in diesem Monat in sein Büro gerufen geworden, weil irgendjemand mir irgendetwas getan hatte. Mr Dallstrom war ein Weltmeister im Bestrafen der Opfer.
    »Wenn ich mich nicht irre, sind Sie in diesem Monat schon das zweite Mal in meinem Büro«, sagte Mr Dallstrom zu mir, die Augen halb geschlossen. »Stimmt das, Mr Vey?«
    Das war die andere Eigenart von Mr Dallstrom: Er stellte gerne Fragen, deren Antworten er bereits kannte. Ich war mir nie sicher, ob ich nun antworten sollte oder lieber nicht. Ich meine, er kannte die Antwort, ich kannte die Antwort, also wo war hier der Sinn?
    Jedenfalls war ich zum zweiten Mal in diesem Monat von Jack Vranes und seinen Kumpels in meinen Spind gesperrt worden. Dieses Mal hatten sie mich kopfüber reingesteckt und ich war kurz davor, ohnmächtig zu werden, als endlich der Hausmeister gekommen war, das Ding aufschloss und mich in Mr Dallstroms Büro schleppte.
    Jack Vranes war ungefähr siebzehn Jahre alt und immer noch in der neunten Klasse. Er war oft sitzen geblieben, hatte einen Führerschein, ein Auto, einen Schnurrbart und ein Tattoo. Er verglich sich selbst manchmal mit einem Schakal, was eine ziemlich gute Beschreibung war, da sowohl er als auch das Tier Jagd auf kleinere Säugetiere machen. Jack hatte Bizepse von der Größe reifer Orangen und keine Hemmungen, diese auch zu benutzen. Um genau zu sein, benutzte er sie sehr gerne. Er und seine Gang, Mitchell und Wade, schauten sich immer Ultimate Fighting im Fernsehen an, was als härteste Kampfsportart der Welt gilt, und Jack nahm brasilianischen Jiu-Jitsu-Unterricht in irgendeinem Fitnessstudio, nicht weit von der Schule entfernt. Sein Lebenstraum war es, in dem Film Octagon zu kämpfen, wo er Menschen verprügeln konnte und auch noch dafür bezahlt würde.
    »Stimmt das?«, wiederholte Dallstrom und starrte mich immer noch an. Ich tickte, also blinzelte, fast ein Dutzend Mal und sagte dann: »Aber Sir, es war doch nicht meine Schuld. Sie haben mich kopfüber in meinen Spind gesteckt.« Er zeigte nicht sehr viel Mitgefühl angesichts meiner Zwangslage, daher redete ich weiter. »Sie waren zu dritt, und sie sind viel größer als ich. Viel größer.«
    Meine Hoffnung auf Verständnis traf Mr Dallstroms berüchtigten »Zu-Tode-starren-Blick«. Man muss ihn gesehen haben, um sich das vorstellen zu können. Letztes Schuljahr, beim Thema griechische Mythologie, waren wir gerade zu dem Abschnitt über Medusa gekommen – einer Gorgone, die nur durch ihren
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