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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autoren: Thomas Glavinic
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können? Antwort: Oskar Schweda, Liechtensteinstraße 23, 1090 Wien.
    Frage: Wie oft hat Marie mich betrogen? Antwort: Nie.
    Frage: Mit wem hätte ich die nettesten Kinder gezeugt? Antwort: Mit deiner Masseurin, Lindsay, ihr hättet Benny und Anne bekommen.
    Nun, was wußte er schon.
    Er drückte sich eine weitere Tablette aus der Schachtel und spülte sie mit Bier hinunter.

28
    Er ging durch die Wohnung. Veränderungen fielen ihm nicht auf. Es sah aus wie vor der Abreise. Er kehrte zum Lkw zurück.
    Er setzte sich aufs Sofa, streckte die Füße aus, stand wieder auf. Es erschien ihm nicht real, daß seine Reise zu Ende war. Ihm war, als sei er vor Jahren gefahren. Als sei die Fahrt nach Smalltown etwas, das im eigentlichen Sinn gar nie stattgefunden hatte, sondern in ihm seit jeher lebte. Und doch wußte er, es war passiert. Diese Tasse mit seinem Namenszug war umgefallen, diese Möbel hatte er von Kaffee reinigen müssen. Doch es war, als hätten die Gegenstände etwas von ihrem Charakter verloren. Der Fauteuil in einem Lastwagen, der auf einer Autobahn in Frankreich stand, war etwas anderes als der Fauteuil, den er jetzt hier sah. Der Fernseher, in dem er das schreckliche Video angeschaut hatte, war zwar derselbe wie der, der dort drüben im Schrank stand. Doch er schien etwas eingebüßt zu haben. Wichtigkeit vielleicht, Bedeutung, Größe. Es war einfach bloß ein Fernseher. Und Jonas war nicht mehr unterwegs. Er war zurück.
    Die Luft in der Brigittenauer Lände roch abgestanden. Ohne ein Wort ging er durch die Zimmer. Hier war niemand gewesen. Sogar die Gummipuppe lag noch immer in der mit Mörtel und Ziegelstaub verschmutzten Badewanne.
    Er stellte eine Kamera vor den Wandspiegel im Schlafzimmer. Er prüfte die Lichtqualität, blickte durch die Linse. Sah die Kamera, die vor dem Spiegel stand, und seine gebeugte Gestalt dahinter. Er legte die Kassette ein und startete die Aufnahme.
    Er schloß die Tür. Draußen postierte er die zweite Kamera direkt vor dem Schlüsselloch. Er schaute durch die Linse. Er mußte die Entfernung einstellen. Nun war die Kommode, über der das Bild der Wäscherin hing, gut zu erkennen. Er drückte die Record-Taste.
    Er wollte bereits gehen, da sah er eine Videokassette auf dem Fernseher in der Wohnküche liegen. Es war das Band, auf dem seine Fahrt um den Donaukanal aufgezeichnet war. Er nahm es mit.
    Er spazierte durch den Belvederegarten, um sich die von der Fahrt steifen Beine zu vertreten. Seine Gedanken wurden wieder wirr. Er klatschte sich die Hände ins Gesicht. Für die nächste Tablette war es noch zu früh. Er begann lieber mit der Arbeit.
    Mit Hilfe des Schlittens schaffte er die zwölf Fernseher herbei, die er in einem Elektrogeschäft in der Nähe eingeladen hatte. In gleichbleibender Langsamkeit stellte er einen nach dem anderen nebeneinander auf den Kiesweg. Er wollte sich nicht beeilen. Er wollte nie wieder etwas schnell tun.
    Das fünfte Gerät setzte er auf das erste, das sechste auf das zweite, das siebte auf das dritte. Das achte kam auf das fünfte, das neunte auf das sechste. Das zehnte auf das achte. Das elfte auf das zehnte. Das zwölfte stellte er gegenüber auf, um es als Sitzgelegenheit zu verwenden. Zur Probe ließ er sich vorsichtig nieder. Die Fernseher vor ihm ergaben eine hübsche Skulptur.
    Er steckte Dutzende Verlängerungskabel zusammen, bis er die Fernseher mit den Steckdosen im Oberen Belvedere verbinden konnte. Er schaltete ein. Alle funktionierten. Elffaches Rauschen tönte über den Platz.
    Er hängte die Videokameras an die TV-Geräte. Nacheinander wurden die Bildschirme blau. Die Kameras verband er mit Netzadaptern, die er ebenfalls im Belvedere ansteckte.
    Kurz vor halb drei. Er programmierte alle elf Kameras so, daß sie um 14.45 Uhr auf Wiedergabe schalten würden. Obwohl er sich nicht beeilte, war er schon fünf Minuten nach halb fertig.
    Mit beeindruckender Präzision schalteten sich die Kameras in derselben Sekunde ein. Ein einziges Klicken und Rattern war zu hören. Im nächsten Augenblick zeigten die elf Fernseher elf verschiedene Bilder.
    St. Pölten, Regensburg, Nürnberg. Schwäbisch Hall, Heilbronn. Frankreich.
    Elf Mal der 11. August, 16.00 Uhr. Elf Mal derselbe Moment, aufgenommen in verschiedenen Teilen der Welt. In St. Pölten waren Wolken aufgezogen, in Reims hatte starker Wind geweht. In Amstetten hatte die Luft vor Hitze geflimmert, in Passau hatte es genieselt.
    Genau zu diesem Zeitpunkt hatte Jonas am Kanaltunnel auf
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