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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
Autoren: Jeannette Walls
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Verantwortung«, sagte Onkel Tinsley. »Und was ist, wenn ihr nach ein paar Wochen die Lust verliert?«
    »Genau«, sagte Mom. »Außerdem bleiben wir ja nicht in Byler. Wir ziehen weiter. In die Catskills. Oder wohin auch immer.«
    »Wir können die Emus nicht einfach im Stich lassen!«, sagte Liz.
    Mom sah sie verwundert an. »Soll das heißen, du willst in Byler bleiben, weil du dich in zwei große, ekelige Vögel verguckt hast, die zufällig die Einfahrt hochspaziert sind?«
    »Die beiden brauchen mich. Sie haben doch sonst niemanden, der sich um sie kümmert.«
    »Wir gehören nicht hierher«, sagte Mom.
    »Die Emus auch nicht«, konterte Liz, »aber sie sind hier.«
    Mom setzte an, etwas zu sagen, verstummte aber dann.
    »Wir behalten die verflixten Vögel«, sagte Onkel Tinsley zu Tater. Dann blickte er Liz an. »Aber nur, wenn du wieder zur Schule gehst.«
    »In Ordnung«, sagte Liz. »Ich geh wieder zur Schule.«
    »Was ist mit dir, Mom?«, fragte ich. »Was willst du machen?« Ich sah Mom an. Sie betrachtete die Sonne, die hinter fernen blauen Bergen unterging.
    »Ich kann nicht hierbleiben«, sagte sie schließlich. »Ich kann einfach nicht.«
     
    Am nächsten Tag ging Liz wieder zur Schule, und Mom packte ihre Sachen, um zurück nach New York zu fahren. Alles würde gut werden, sagte sie. In New York würde sie einen Verleger für Liz’ Emu-Gedichte suchen. Und außerdem würde sie eine günstige Wohnung auf der Upper East Side mieten, wo genug Platz für uns drei wäre, und dann würde sie uns in einer von diesen speziellen staatlichen Schulen für begabte Kinder anmelden. Sie sprach auch davon, dass wir den Sommer vielleicht alle zusammen in den Catskills verbringen könnten.
    Am nächsten Morgen standen wir früh auf. Ein Gewitter war vor Tagesanbruch durchgezogen, und die klare, feuchte Luft war noch immer wie elektrisch aufgeladen. Mom verstaute ihr Gepäck im Kofferraum des Dart und umarmte uns. Sie trug ihre rote Samtjacke. »Der Stamm der drei«, sagte sie, »ist bald wieder zusammen.«
    Wir sahen dem Dart nach, bis er um eine Biegung in der Auffahrt verschwand.
    »Weg ist sie«, sagte Liz.

51
    D er Prozess war eine Woche her, als Liz das erste Mal wieder in die Schule ging, und ich hoffte, dass ihre Mitschüler inzwischen mit anderen Sachen beschäftigt waren und sie nicht mehr piesacken würden. Ganz so war es nicht, aber Liz lernte, damit umzugehen. Sie schwebte in ihrer eigenen Welt durch die Flure, als gäbe es sonst niemanden, und nach der Schule spielte sie Gitarre und arbeitete bis spät in die Nacht an ihren Emu-Gedichten. Sie zeichnete auch Illustrationen dazu – Zeitung lesende Emus, niesende Emus, Saxophon spielende Emus.
    Mom hatte zwar davon geredet, einen Verleger für die Gedichte zu suchen, aber Liz hatte panische Angst davor, sie Fremden zu zeigen, weil sie am Boden zerstört gewesen wäre, wenn jemand sie kritisiert hätte. Also beschloss ich, heimlich ein paar von ihren Gedichten abzuschreiben und sie Miss Jarvis zu zeigen, die daraufhin Liz ansprach und ihr erklärte, sie hätte großes Talent. Von da an verbrachte Liz ihre Mittagspause in Miss Jarvis’ Klassenzimmer. Ein paar andere Außenseiter der Byler High machten das ebenso – Cecil Bailey, der ständig von Elizabeth Taylor redete und manchmal als Schwuchtel bezeichnet wurde; Kenneth Daniels, der einen Umhang trug und ebenfalls Gedichte schrieb; Claire Owens, die ein Albino war und behauptete, sie könne die Aura von Menschen sehen; und Calvin Sweely, der wegen seines auffällig großen Kopfes Jupiterkopf genannt wurde, ein Spitzname, den ihm irgendein Schlauberger aus seiner Klasse verpasst hatte, als das Sonnensystem Thema im Unterricht war. In Miss Jarvis’ Mittagspausenklub machte sich keiner über den anderen lustig, und sie förderte Liz und lobte ihren Individualismus. Liz hatte sich an der Byler High nur als verachtete Außenseiterin gefühlt und gar nicht gemerkt, dass es ja noch andere Außenseiter gab. Die zu entdecken war für sie eine echte Offenbarung.

52
    I ch war so sehr mit Liz und den Emus beschäftigt gewesen, dass ich die Wyatts seit dem Prozess kaum besucht hatte, aber eines Nachmittags im April, kurz nach meinem dreizehnten Geburtstag, kamen Liz und ich aus der Schule und sahen Tante Al mit Onkel Tinsley auf der Veranda sitzen.
    »Es gibt große Neuigkeiten aus der Weberei«, sagte Onkel Tinsley.
    »Euer Mr Maddox ist rausgeflogen«, sagte Tante Al.
    »Was?«, sagte Liz, als könnte sie
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