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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
Autoren: Jeannette Walls
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musste man warten, bis die andere den Mund voll mit Essen oder Milch hatte, und dann versuchen, sie zum Lachen zu bringen. Liz gewann fast immer, weil es ziemlich leicht war, mich zum Lachen zu bringen. Manchmal kam mir vor lauter Lachen die Milch aus der Nase geschossen.
    Ein anderes Spiel, das sie sich ausgedacht hatte, war das Lügenspiel. Dabei musste eine von uns zwei Behauptungen aufstellen, von denen eine stimmte, die zweite nicht, und die andere durfte fünf Fragen dazu stellen und musste dann raten, welche Behauptung gelogen war. Meistens gewann Liz auch beim Lügenspiel, aber genau wie bei Schluck-und-Spuck war es eigentlich egal, wer von uns gewann. Hauptsache, wir hatten unseren Spaß. An dem Abend war ich ganz aufgeregt, weil ich dachte, ich hätte eine richtig harte Nuss auf Lager: Einem Frosch rutschen beim Schlucken die Augäpfel ins Maul, oder Froschblut ist grün.
    »Kinderleicht«, sagte Liz. »Das grüne Blut ist gelogen.«
    »Das gibt’s doch nicht! Woher weißt du das?«
    »Wir haben in Bio Frösche seziert.«
    Ich redete noch immer darüber, wie saukomisch und seltsam es doch war, dass ein Frosch seine Augäpfel zum Schlucken braucht, als Mom zur Tür hereinkam. Sie hatte eine weiße Schachtel mit einer roten Schleife drum in der Hand. »Limettentorte für meine Mädchen«, verkündete sie und hielt die Schachtel hoch. Ihr Gesicht glühte, und sie lächelte irgendwie albern. »Wir haben Grund zu feiern; von heute an ändert sich nämlich unser Leben.«
    Während Mom die Torte anschnitt und die Stücke verteilte, erzählte sie uns, dass sie in dem Aufnahmestudio einen Mann kennengelernt hatte. Er war Plattenproduzent und hieß Mark Parker, und er hatte ihr erklärt, sie würde nur deshalb keine Engagements als Backgroundsängerin kriegen, weil ihre Stimme zu markant war und sie den Frontsängern die Schau stahl.
    »Mark meint, ich bin nicht dafür geschaffen, hinter irgendwem die zweite Geige zu spielen«, erklärte Mom. Er hatte ihr erzählt, sie habe das Zeug zum Star, und an dem Abend hatte er sie zum Essen eingeladen, und sie hatten darüber geredet, wie sie ihre Karriere in Schwung bringen könnten. »Er ist so klug und witzig«, sagte Mom. »Ihr zwei werdet ihn lieben.«
    »Ist er was Ernstes oder auch bloß so ein Blechklopfer?«, fragte ich.
    »Ich warn dich, Bean«, sagte Mom.
     
    Bean ist natürlich nicht mein richtiger Name, aber so nennen mich alle. Bean – das Böhnchen.
    Meine Idee war das nicht. Als ich geboren wurde, gab Mom mir den Namen Jean, aber als Liz mich das erste Mal sah, nannte sie mich Jean Bean, weil ich so winzig wie ein Böhnchen war und weil es sich reimte – Liz reimt andauernd –, und dann einfach nur Bean, weil das kürzer war. Aber manchmal verlängerte sie Bean auch wieder und nannte mich Beaner oder Bean Head oder auch Clean Bean, wenn ich gerade gebadet hatte, Lean Bean, weil ich so dünn war, Queen Bean, einfach nur, um mir eine Freude zu machen, oder Mean Bean, wenn ich schlecht gelaunt war. Einmal, als ich von einem Teller verdorbenem Chili eine Lebensmittelvergiftung hatte, nannte sie mich Green Bean, und später dann, als ich über der Kloschüssel hing und mich noch schlechter fühlte, hieß ich für sie Greener Beaner.
    Liz spielte unheimlich gern mit Wörtern. Deshalb gefiel ihr der Name unseres Städtchens auch so, Lost Lake – also verlorener oder auch verirrter See. »Komm, wir gehen ihn suchen«, sagte sie gern, oder: »Würd mich echt interessieren, wer ihn verloren hat«, oder: »Vielleicht sollte der See mal nach dem Weg fragen.«
    Wir waren vier Monate zuvor, am Neujahrstag 1970 , von Pasadena nach Lost Lake gezogen, weil Mom meinte, ein Tapetenwechsel wäre ein schöner Auftakt für das neue Jahrzehnt. Lost Lake war ein ganz nettes Örtchen, fand ich. Die meisten Leute, die da wohnten, waren Mexikaner, die Hühner und Ziegen in ihren Gärten hielten, wo sie praktisch auch selbst lebten, denn sie kochten draußen auf dem Grill und tanzten zu mexikanischer Musik, die aus ihren Radios dudelte. Hunde und Katzen schlichen auf den staubigen Straßen herum, und Bewässerungskanäle beförderten Wasser raus zu den Feldern. Keiner sah dich schief an, weil du die aufgetragenen Sachen deiner großen Schwester anhattest oder deine Mom einen alten braunen Dart fuhr. Unsere Nachbarn wohnten in kleinen Lehmziegelhäuschen, aber wir hatten einen Bungalow aus Zementsteinen gemietet. Es war Moms Idee gewesen, die Zementsteine türkisblau und Tür
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