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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
Autoren: Jeannette Walls
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ihren Ohren nicht trauen. Ich schlug ihr auf die Schulter.
    »Die gute Al hat’s mit eigenen Augen gesehen«, sagte Onkel Tinsley. »Sie ist extra den weiten Weg zu Fuß hergekommen, um euch zu erzählen, was passiert ist.«
    »War ein schöner Spaziergang«, sagte Tante Al. Der Freispruch wär Maddox richtig zu Kopf gestiegen, erklärte sie. Wayne Clemmons hatte die Stadt einen Tag nach seiner Aussage im Prozess verlassen, und die Leute sagten, dass Maddox ihn garantiert entweder bestochen oder irgendwie unter Druck gesetzt hatte. Manche glaubten sogar, Maddox wäre in dem Taxi über Liz hergefallen, weil er genau wusste, dass er Wayne irgendwie zwingen könnte, für ihn auszusagen.
    Jedenfalls, seit dem Prozess schien Maddox überzeugt, sich einfach alles leisten und mit jedem ganz nach Belieben umspringen zu können, ob nun in der Weberei oder in der Stadt. Er wär schon vor dem Prozess ein streitsüchtiger Mistkerl gewesen, sagte Tante Al, aber nach seinem Freispruch hätte er gar keine Grenzen mehr gekannt. Er beschimpfte die Männer und rempelte sie an, und er grapschte den Frauen an den Busen oder den Hintern. Als er eine Frau dabei erwischte, wie sie außerhalb der Mittagspause ein Sandwich mit Eiersalat aß, drückte er ihr das Sandwich ins Gesicht. Und dann fing eine Art Bummelstreik an. Die Arbeiter hatten endgültig die Nase voll von Maddox, und sie taten alles, was sie konnten, um ihm Ärger zu machen. Fäden verhedderten sich. Webstühle und Spindeln gingen kaputt, und die Reparaturen dauerten ewig. Das Licht ging aus. Toiletten verstopften, und Abflüsse liefen über.
    Die Webereibesitzer erwarteten gute Produktionsergebnisse, egal wie, und wenn die Produktion unter einem der Betriebsleiter zurückging, wurde das ihm angekreidet. Die Besitzer wollten keine Ausreden hören. Maddox fing an, die Arbeiter noch härter ranzunehmen, und die wehrten sich, indem sie die Arbeit noch weiter verzögerten.
    Maddox wär immer nervöser geworden, erzählte Tante Al, und gestern Abend dann hätte er vollends durchgedreht. Er geriet in eine Auseinandersetzung mit Julius Johnson, einem bulligen Schwarzen, der Vanessas Onkel war. Maddox warf ihm vor, eine zu lange Toilettenpause gemacht zu haben, schrie ihn an und stieß ihm mit dem Finger gegen die Brust. Einem Gerücht nach hatte Maddox versucht, sich an Leticia, die Cheerleaderin, ranzumachen – obwohl die Farbigen solche Sachen meist für sich behielten, fügte Tante Al hinzu –, und vielleicht hatte Julius das im Kopf. Jedenfalls packte Julius, der fast so groß war wie Maddox, dessen Hand und sagte, er solle aufhören, mit dem Finger rumzufuchteln, und ein bisschen respektvoller mit den Leuten umgehen. Maddox schlug Julius ins Gesicht, einfach so, vor der ganzen Belegschaft. Natürlich waren alle wie erstarrt, und noch ehe irgendwer auch nur einen Ton sagen konnte, stürzte Julius sich auf Maddox, und die beiden Riesenkerle wälzten sich auf dem Boden und droschen aufeinander ein, bis der Sicherheitsdienst sie schließlich trennte.
    »Sowohl Maddox als auch Julius mussten ihre Sachen packen«, sagte Tante Al. Die Schwarzen von Byler hatten Julius sofort zum Helden erklärt, und Samuel Morton vom Bestattungsunternehmen Morton Bro- thers, von dem die Schwarzen ihre Verstorbenen bestatten ließen, hatte schon angeboten, ihn einzustellen. Die Leute erzählten sich auch, die Webereibesitzer wären im Grunde froh, Maddox loswerden zu können. Er hatte ihnen zu viele Probleme bereitet und zu wenig Leistung erbracht.
    Tante Al streckte die Hand aus, tätschelte Liz’ Arm und sagte: »Ich schätze, Julius Johnson hat sich gedacht, wenn ein dünnes weißes Mädchen den Mumm hatte, es mit Maddox aufzunehmen, dann sollte er nicht nachstehen.«

53
    W enn wir von der Schule nach Hause kamen, fütterten wir die Emus mit Hühnerfutter, das Onkel Tinsley billig bei Mr Muncie kaufte. Nach einiger Zeit kamen sie immer gleich an den Zaun gerannt, wenn sie uns sahen. Eugene lief vorweg, und Eunice, deren Hinkebein bei jedem Schritt zur Seite schwang, folgte eilig hinterdrein.
    Ich mochte diese hässlichen Riesenhühner, aber Liz liebte sie. War ganz vernarrt in sie. Sie brachte ihnen Leckerbissen wie Kekse und Brokkoli. Sie folgte ihnen über die Wiese, studierte ihr Verhalten. Eugene ließ sie so nah an sich ran, dass sie ihn streicheln konnte. Eunice war dagegen scheuer und wollte sich nicht anfassen lassen. Immer wenn Liz die Hand nach ihr ausstreckte, duckte sie sich weg
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