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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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grüne Hosen mit weißem Rock und machen sich mit überheblichem Gang lächerlich.« Er musterte Hufelands gelbe Hose, die saubere gleichfarbige Weste, den straff zusammengedrehten Zopf und seufzte. »Wird Zeit, dass Sie das wahre Leben kennenlernen.«
    Hufeland sah starr auf die Blätter, die auf seinem Studiertisch lagen und die er mit Notizen zur vergangenen Vorlesung zu füllen suchte. »Nein, heute werde ich mich meinen Studien widmen«, sagte er und straffte die Schultern, stolz auf seine Standhaftigkeit.
    Vogt grinste ungläubig. »Glauben Sie ernsthaft, mit dem Doktortitel in der Tasche die Menschheit zu retten? Vielleicht sollten Sie besser Theologe werden, damit hat man hier mehr Erfolg.«
    Als Hufeland nicht reagierte, packte er ihn energisch am Arm |27| und zog ihn die Stiegen hinab. Es sei unhöflich, sich dem Ruf der Landsleute zu verwehren, sagte er. Heute sei der Tag, an dem er wichtigen Studenten begegnen solle, die ebenfalls aus der Weimarer Gegend stammten. Auch sei es an der Zeit, einer Loge beizutreten, anders könne man gesellschaftlich nicht überleben. Hier ebenso wenig wie anderswo in deutschen Landen und dafür müsse man Kontakte knüpfen, sonst würde einem der Einlass zu den wichtigen Zirkeln verwehrt.
    »Sie werden sehen«, sagte er lachend, »diese Stadt ist ein Dorf, in dem jeder jeden kennt.«
    An der Tür zur Gasse blieb Hufeland zögernd stehen. Das wahre Leben, wie Vogt es nannte, war eines derjenigen Dinge, die er in den vergangenen Tagen weiß Gott zur Genüge kennengelernt hatte. Das wahre Leben aber, dachte er, findet woanders statt, in den Bürgerhäusern hinter zugezogenen Gardinen und auf dem Lande, wo die Bauern mit den Tieren in einem Raum leben, bei ungenügender Hygiene, die noch immer Krankheit und Tod bringt.
    Nur widerwillig ließ er sich nach draußen drängen. Vielleicht, so dachte er beschwichtigend, wäre es eine gute Gelegenheit, seinem Verdacht gegen Vogt nachzugehen, der sich als ein übler Renommist erwiesen hatte. Dieser eine Abend nur, bloß um sich zu vergewissern.
    Mit gesenktem Kopf versuchte Hufeland, den Blicken der Frauen auszuweichen, die sich an die Mauern der Bürgerhäuser drückten und ungeniert lachten, wenn ihnen einer der jungen Herren in die Wange kniff. Die Gassen waren, obgleich noch früh am Abend, vom Lärmen und Singen erfüllt. Einer der Studenten spielte mit einer Violine zum Tanz auf.
    »Hast du das von dem Minchen gehört«, fragte er Vogt, als sie stehen blieben, um eine Meute laut singender Burschen an sich vorüberziehen zu lassen. Noch im selben Moment ärgerte er sich über den ungeschickten Vorstoß.
    Vogt sah ihn verdutzt an. »Du weißt von dem Minchen? Ihr Vater ist beinahe wahnsinnig vor Sorge. Seit drei Tagen ist sie verschwunden!«
    |28| Hufeland sog die Luft ein. »Na, das meinte ich doch. Dass sie verschwunden ist.« Froh, dass die grölende Meute jede Nachfrage verhinderte, wandte er den Blick ab. Wartete, bis sie vorüber war und die Menge sie weiter gen Rosenkeller schob.
    Mit gesenktem Kopf lief er voran, die Beine des vor ihm gehenden Kommilitonen fest im Blick. Dabei stieß er an einen jungen Mann in Lederhosen und derben Kanonenstiefeln, der einen Degen am Gürtel trug. Als Hufeland aufsah und in sein finsteres Gesicht blickte, wünschte er sich, er wäre in seinem Kämmerlein geblieben und hätte Vogts Drängen widerstanden.
    »He, Füchslein! Was hast du für eine schicke Uniform. Willst wohl die Mädels beeindrucken, was? Stinker, dich kann man ja schon von weitem riechen!« Der Mann baute sich vor ihm auf und ballte die Fäuste.
    Hufeland betrachtete das gerötete Gesicht, die geplatzten Äderchen, die vorquellenden Augen. Er dachte an die neue Theorie, von der er gerade gelesen hatte und die sich anschickte, die Medizingeschichte zu revolutionieren. Überrascht stellte er fest, wie recht John Brown doch hatte, wenn er behauptete, die Gesundheit sei abhängig von der Erregbarkeit des Menschen. Und ja, hier sah man ein Paradebeispiel für die Richtigkeit seiner Überlegung: Dieser Mensch, der vor ihm stand und seine Gesichtszüge nur schwer unter Kontrolle hatte, war in höchstem Maße sthenisch. Wahrscheinlich förderte er diesen Zustand nur noch, indem er dem Branntwein zusprach, einem üblen Reizverstärker. Es war dringend notwendig, diese Überreizung zu vermindern, durch Blutentzug beispielsweise oder durch Gaben von Abführ- oder Brechmitteln.
    »Zum Teufel, willst nicht reagieren? Bist wohl ein
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