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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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Angreifers |31| wurden härter, mehr als einmal erwischte dessen Klinge Alberts Arm und Hand. Das Blut rann aus den offenen Wunden, einige riefen, der Kampf solle abgebrochen werden, der Sieger stehe ohnehin fest. Die Menge aber tobte, verlangte johlend nach mehr.
    Der Holsteiner schien wie von Sinnen, einem Blutrausch erlegen, stieß ohne Unterlass in Richtung Brust. Albert schlug sich mit der Verzweiflung eines Todgeweihten, die Augen starr auf die tanzende Klinge des Gegners gerichtet. Noch einmal stieß Albert mit einem verzweifelten Aufschrei nach vorn und zog mit seiner Waffe eine blutige Spur im Gesicht des Angreifers. Dieser schrie auf, doch plötzlich erscholl von der gegenüberliegenden Seite ein Ruf: »Verschwindet, Polizei!«
    Dann ging alles ganz schnell. Obwohl noch kein Deut einer Uniform zu sehen war, stoben die Schaulustigen auseinander und rannten die Gassen entlang. Dort, wo ein Karren den Weg versperrte, entstand Aufruhr, eine Frau fiel hin und wurde erst überrannt, dann aufgehoben und mit der fliehenden Menge weitergeschoben.
    Den Moment der Ablenkung nutzend, warf Albert den Degen von sich, drängte fliehend in die Menge, und für einen Moment schien es, als nähme der Kampf einen glücklichen Ausgang. Doch nur einen kurzen Moment später brach Albert nach vorn gekrümmt zusammen.
    Hufeland sank in die Knie, als wäre er selbst das Opfer. Hatte der Holsteiner die Verfolgung aufgenommen, ihn rücklings niedergestreckt? Angestrengt starrte er in Richtung des Gefallenen. Noch verhinderte die kopflos auseinanderlaufende Menge den Blick, dann aber leerte sich die Gasse. Der Holsteiner stand mit breiten Beinen über dem am Boden liegenden Albert und blickte hektisch um sich. Als auch jetzt noch kein Polizist zu sehen war, trat er gegen den leblosen Körper, beugte sich herunter und begann, die Taschen zu durchsuchen.
    Hufeland drückte sich in den Hauseingang, wagte kaum zu atmen. Die warme Mauer im Rücken, beobachtete er den Holsteiner in seinem unwürdigen Tun. Dieser schüttelte bald unwillig den Kopf und erhob sich. Dann streifte er die blutige Degenspitze am |32| Hemd des Liegenden ab, spuckte ihm geräuschvoll auf den Kopf und lief davon.
    Von der gegenüberliegenden Häuserzeile löste sich ein Schatten, lief auf Albert zu. Hufeland erkannte Ludwig Gerstel, schmächtiger als zuvor, mit blutleerem Gesicht, gespenstergleich.
    »Es ist meine Schuld!«, flüsterte Gerstel tonlos und legte seinen Kopf auf den Rücken des Regungslosen. Dann richtete er sich auf, schrie es in die beginnende Nacht hinein: »Meine Schuld!«
    Hufeland barg sein Gesicht in den Händen. Dann war es still.
     
    Der Braune trabte voran, zog die Kutsche den holprigen Weg entlang, vorbei an dichten Bäumen, Moos und Farn. In der Nacht hatte es geregnet, bis die Morgensonne die Wolken vertrieb. Die Luft war nun kühl und klar, alles versprach einen wunderbaren Spätsommertag.
    Hufeland betrachtete das strahlende Gesicht seiner älteren Schwester, die in diesem Moment die Hand ihres Mannes, Ernst Adolph Weber, drückte, der, noch nicht einmal dreißig, im letzten Jahr zum dritten Theologieprofessor berufen worden war. Hannchen war sicher einer der Gründe, warum ihn sein Vater zum Studium nach Jena hatte gehen lassen, sie war Aufsicht und Gewissen zugleich. Doch hatte auch ihre Anwesenheit nicht verhindern können, dass die Dinge ihren furchtbaren Lauf genommen hatten.
    Ihre Blicke begegneten sich. »Geht es dir gut, Christoph?«, fragte sie sanft. Dann stutzte sie. »Was hast du mit deinem Kinn gemacht?«
    Hufeland strich sich über das verfärbte Kinn, zuckte die Schultern und wandte den Blick ab. Starrte auf die vorbeiziehenden Bäume, das Spiel von Licht und Schatten, die Sonnenstrahlen, die ihr gleißendes Licht ins Dunkle trieben. Sein Kinn schmerzte noch immer, aber was war das schon gegen das, was nur wenige Augenblicke nach dem Schlag gefolgt war?
    Noch spät in der Nacht, als er in seinem Zimmer gelegen hatte und an Schlaf nicht zu denken war, hatte er die Bilder des leblosen Körpers nicht vergessen können, das Blut, das das staubige Pflaster |33| färbte. Wer tat so etwas, wer ließ sich in seinem Blutrausch derart treiben, dass er jemanden rücklings erstach? Das war nicht die unbeabsichtigte Folge eines hitzigen Duells gewesen, nein, das war heimtückischer, brutaler Mord!
    Ach, sollten die anderen doch so tun, als wäre es Teil des unbequemen Lebens, als wäre Albert Steinhäuser ohnehin nur ein Fremder, dessen
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