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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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die Menge eintauchte. Er hätte den Marktplatz umgehen können, doch er hatte es eilig. Der Duft gebratener Würste zog in seine Nase und erinnerte ihn daran, dass er noch nicht gefrühstückt hatte. Er konnte den köstlichen Geschmack, den Rauch, die salzige Würze beinahe auf seiner Zunge fühlen, doch er hatte keine Zeit, sich kulinarischen Genüssen zu ergeben, er musste zur nächsten Vorlesung, wenn aus ihm etwas werden sollte.
    Er hatte den Marktplatz beinahe überquert, da zog ein stattlicher Kaufmann seine Aufmerksamkeit auf sich, der Kleidung nach vermögend. Die hüftlange Weste war aus golddurchwirktem Brokat, und er trug eine seidig schimmernde Cravate. Um ihn herum hatte sich eine Traube Neugieriger gebildet, seinen Worten lauschend, die von unantastbarer Gesundheit kündeten und von ewiger Jugend. Er hielt ein kleines Fläschchen in die Luft und pries es als Wunderelixier nach geheimen Rezepten des Orients.
    Hufeland blieb stehen. Der Mann zog den Korken, trat dicht an die Umstehenden heran und wedelte einen Duft hinüber, der von fernen Ländern kündete. »Ich habe einige davon erstehen können, allesamt aus dem Besitz eines mächtigen Königs«, sagte er und |25| klopfte auf eine große Tasche, die fest an seinen Körper geschnallt war.
    Hufeland versuchte, den Duft einzusaugen, glaubte, Zimt ausmachen zu können, doch er hatte dieses kostbare Gewürz nur einmal gerochen, und das war schon lange her. Zu gern hätte er sich eines dieser Fläschchen gekauft, und sei es nur, der sagenhaften Heilkraft auf den Grund zu gehen. Er dachte an die vielen kranken Menschen, denen selbst der Vater nicht hatte helfen können, an all die furchtbaren Krankheiten, die sich immer wieder wie ein giftiger Schleier über die Städte legten und zahllose Leben erstickten. Wenn es ihm nur gelänge, eine Arznei zu erschaffen, die jegliches Leiden zu lindern vermochte!
    Noch einmal atmete er den blumig-würzigen Duft ein, bevor der Händler den Korken wieder in den Flaschenhals schob.
    »Was verlangen Sie dafür?«
    »Dreißig Groschen, Bursche, für dich zwanzig. Und das ist nicht viel, wenn man bedenkt, wie viel ein Kurpfuscher erhält, wenn er dir einmal in den Rachen schaut!« Er lachte.
    »Ich werde es mir überlegen.« Hufeland nickte höflich und drehte sich weg. Der Preis überstieg sein deutlich geschrumpftes Kapital. Und, ach, es war wohl töricht zu glauben, ein einziges Heilmittel könne alle Menschen vom Übel befreien.
    Während er weiter zum Haus des Professor Gruner eilte, rief er sich noch einmal das Gespräch mit Professor Loder ins Gedächtnis.
    Ja, er wollte Arzt werden mit jeder Faser seiner Seele, nicht nur, weil sein Vater es bestimmt hatte. Und er würde den Versuchungen dieser verrohten Stadt widerstehen. Sich an jene halten, die weniger an Vergnügungen interessiert waren als an der Erforschung der menschlichen Krankheiten und deren Heilung.
    Er blieb stehen, blickte zum bedeckten Himmel und atmete die schwüle Luft ein, füllte seine Lungen, als wäre es die eines kristallklaren Tages. Er, Christoph Hufeland, trat nun an, sich den Erneuerern anzuschließen, die sich aufmachten, der Welt zu beweisen, dass weder die Pocken noch das Scharlachfieber oder die |26| Arthritis ihren Ursprung in der Willkür Gottes nahmen, sondern einzig in der mangelnden Kenntnis um deren Beseitigung.
     
    Hufeland hatte gerade mit seiner Gastfamilie zu Abend gegessen, Krautsuppe und etwas Brot, und wollte sich in seiner Stube auf die Vorlesungen des nächsten Tages vorbereiten, als es an der Tür klopfte.
    Marie, die Dienstmagd, steckte ihren Kopf ins Zimmer und kündigte mit hochroten Wangen einen Herrn Studioso an.
    Johann Vogt, Medizinstudent im dritten Semester, schob sich mit einem anzüglichen Grinsen eng an ihr vorbei in die Kammer und schloss hinter dem davoneilenden Mädchen die Tür.
    »Die ist nicht spröde«, raunte er ihm zu. »Aber man sollte sie nicht anlangen. Das ist die Scharmante vom Hans Kaltschmied. Der ist bei den Mosellanern, mit denen ist nicht zu spaßen!« Er schritt zum Fenster und spähte nach draußen.
    Hufeland stand still, mit herabhängenden Armen. »Mosellaner?«
    Vogt sah sich um. Ein kurzer Blick auf das Tischchen, an dem Hufeland soeben gearbeitet hatte, genügte, um ihm ein hämisches Lächeln zu entlocken.
    Er nahm eine Tabakpfeife aus seiner Hosentasche und paffte kalten Rauch. »Mit den Mosellanern werden Sie schon noch Bekanntschaft machen, da geht kein Weg dran vorbei! Sie tragen
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