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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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gewissen Teil ist das auch natürlich.«
    Hufelands Wangen brannten.
    Das gehe auch anderen so, erklärte Loder, doch man solle sich nicht davon mitreißen lassen, es gäbe reichlich Studierende, die den Abschluss aus genau diesem Grund nie erreichten.
    Seine Stirn glättete sich, und er lächelte väterlich. »Sollten also Ihre Studien darunter leiden, müsste ich Maßnahmen ergreifen, die das verhindern. Sie sind ein kluger Kopf, Christoph, zudem hat Ihr Vater als Leibarzt am Weimarer Hof weitreichenden Einfluss. Aus Ihnen könnte etwas werden. Wenn Sie es denn aus tiefster Seele wollen, denn so ist es doch, nicht wahr? Dieser Beruf ist nicht wie die anderen. Er ist eine Berufung. Es wird keinen Feierabend geben, denn die Krankheit gibt auch des Nachts keine Ruhe. Sie werden Menschen gesunden sehen und sterben, doch Sie sollten nicht aufgeben, bevor Sie nicht das Beste getan haben, was Sie zu leisten vermögen.« Loder beugte sich vor und sah ihm in die Augen. »Da mag es begabte Studenten geben wie Sie, die das Talent zu einem Leibarzt haben. Doch nur aus einem Schüler, der fleißig und immerzu an seiner Vervollkommnung arbeitet, kann auch ein guter Arzt werden. Verderben Sie es sich nicht!«
     
    Hufelands Wangen brannten noch immer, als er sich auf den Weg zur Vorlesung über die Geschichte der Medizin machte, die im Hause des Professor Gruner stattfand. Sie brannten sowohl vor Scham als auch vor Stolz.
    |23| Er sei ein kluger Kopf, hatte der von ihm so verehrte Professor gesagt, und Hufeland wiederholte es flüsternd, immer und immer wieder.
    Bis zum heutigen Tag hatte er die Bibel vier Mal gelesen, er konnte die Sprüche auswendig, war des Lateinischen mächtig, ebenso des Griechischen, war bewandert in Geschichte, Geographie und Naturkunde. Er wusste Gott zu fürchten, genauso wie seinen Vater, und eine Art Dankbarkeit für all die Jahre zu empfinden, die ihn so hart geschliffen hatten. Und dennoch war ihm von seinem gestrengen Hauslehrer und Theologen Restel, einem ernsten, harten Mann mit einer Habichtsnase, immer wieder vor Augen geführt worden, was aus ihm werde – nämlich nichts, dumm, wie er sei, bis er es am Ende selbst glaubte.
    Nun aber ging er aufrecht durch die Gassen, voll Sehnsucht nach dem Leben, erfüllt von Glück. Frei von der Übelkeit, die ihn noch am Morgen fest im Griff gehabt hatte.
    Doch als er in die Johannisgasse bog, in der auch die Unterkunft des Kommilitonen Vogt lag, musste er an das junge Mädchen denken, das er im Accouchierhaus erkannt hatte. Bei Gott, sie war noch so jung! Gewiss, es gab ein Alter, bei dem man nicht damit rechnete, dass ein solch junges Ding in der Lage war zu empfangen. Er hatte ihren Beteuerungen geglaubt, dass sie nichts getan hatte, es herbeizuführen. Nein, das hatte sie sicher nicht. Aber was wusste man in diesem Alter schon von den geschlechtlichen Dingen? Professor Loder hatte angedeutet, dass er bei der Untersuchung der Schwangeren kein Jungfernhäutchen mehr vorgefunden hatte. Vielleicht hatte sie nicht gewusst, was sie tat und welche Konsequenzen es haben könnte?
    Hufeland schüttelte den Kopf. Im Grunde ging es ihn nichts an. Hier in Jena war jedes siebte Kind ein Balg. Die Studenten trieben es bunt, und viele Mädchen hofften auf das eheliche Glück mit einem Mann, dessen Zukunft vielversprechend war. Aber selbst wenn Minchen schuld an ihrem Schicksal war, so würde er sie nicht verraten, auch wenn er sie kaum kannte. Mehr könnte er für sie ohnehin nicht tun. Doch es reizte ihn herauszufinden, ob ein |24| gewisser Johann Vogt etwas zu ihrem Unglück beigetragen hatte, der bei der Familie Trautmann sein Zimmer hatte.
    Die Gassen wurden voller, waren bevölkert von Menschen, die Körbe mit Obst und Kartoffeln davontrugen und Säcke voller Kohlen. Es war Markttag. Händler hatten ihre Stände aufgebaut und boten Essbares feil, Wolle und Holzarbeiten, Seife und Zinngeschirr. Ein kleiner, runzeliger Perückenmacher pries lauthals Allonge-Perücken an, die keiner mehr wollte. Studenten standen feixend vor seiner Auslage und bewarfen sich gegenseitig mit einem seiner Modelle, während der Mann den Preis seufzend auf fünf Groschen senkte. Ein Mann mit einem Handkarren bahnte sich laut schimpfend seinen Weg durch die Menge und verhinderte gerade noch, dass ihm ein kleiner Junge einen Kohlkopf von der Ladefläche stahl.
    Es roch nach Äpfeln und Duftwässern, Verdorbenem und Schweiß. Das Getöse und Lärmen schmerzte in Hufelands Ohren, als er in
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