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Die Akte

Titel: Die Akte
Autoren: John Grisham
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bleiben.«
    »Sind Sie verrückt? Ist er verrückt? Wenn ich meine Kollegen aufforderte, dieser Bitte nachzukommen, würden sie alle noch heute abend die Stadt verlassen und den ganzen nächsten Monat herumreisen. Das ist absurd.« Runyan warf seinen Mitarbeitern einen finsteren Blick zu; sie schüttelten entrüstet die Köpfe.
    Wirklich absurd.
    Lewis war unbeeindruckt. Das war zu erwarten gewesen.
    »Wie Sie wünschen. Es war nur ein Vorschlag.«
    »Ein törichter Vorschlag.«
    »Der Direktor hat in dieser Hinsicht nicht mit Ihrer Kooperation gerechnet. Er erwartet jedoch, dass er im voraus über alle Reisepläne informiert wird, damit wir unsere Vorkehrungen treffen können.«
    »Soll das heißen, dass Sie vorhaben, jeden Richter zu eskortieren, wenn er die Stadt verlässt?«
    »Ja, Chief. Genau das haben wir vor.«
    »Unmöglich. Diese Leute sind es nicht ge wohnt, rund um die Uhr beaufsichtigt zu werden.«
    »Ja, Sir. Und sie sind es auch nicht gewohnt, dass sich jemand an sie heranmacht. Wir versuchen nur, Sie und Ihre ehrenwerten Kollegen zu beschützen, Sir. Natürlich sagt uns niemand, dass wir irgend etwas tun müssen. Ich glaube, Sir, Sie selbst waren es, der uns gerufen hat. Wenn Sie es wünschen, können wir wieder gehen.«
    Runyan rückte auf seinem Stuhl nach vorn und attackierte eine Büroklammer, zog sie auseinander und versuchte, den Draht vollkommen gerade zu biegen. »Und hier?«
    Lewis seufzte und hätte beinahe gelächelt. »Das Gebäude macht uns keine Sorgen, Chief. Das lässt sich mühelos sichern. Hier rechnen wir nicht mit Problemen.«
    »Wo dann?«
    Lewis nickte zum Fenster hinüber. Der Lärm war wieder lauter geworden. »Irgendwo da draußen. Auf den Straßen wimmelt es von Idioten, Verrückten und Fanatikern.«
    »Und alle hassen uns.«
    »Offensichtlich. Wir machen uns große Sorgen um Richter Rosenberg, Chief. Er weigert sich nach wie vor, unsere Leute in sein Haus zu lassen; sie müssen die ganze Nacht auf der Straße verbringen. Er gestattet einem der Polizisten des Obersten Bundesgerichts, den er besonders schätzt - wie heißt er? Ferguson -, draußen an der Hintertür zu sitzen, aber nur von zehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Niemand darf hinein außer Richter Rosenberg und seinem Pfleger. Das Haus ist nicht sicher.«
    Runyan stocherte mit der Büroklammer auf seiner Schreibunterlage herum und lächelte in sich hinein. Rosenbergs Tod, wie immer er auch eintreten mochte, wäre eine Erleichterung. Nein, er wäre ein grandioses Ereignis. Der Chief würde Schwarz tragen und eine Nachrede halten müssen, aber hinter verschlossenen Türen würde er mit seinen Mitarbeitern kichern. Der Gedanke behagte Runyan.
    »Was schlagen Sie vor?« fragte er.
    »Können Sie mit ihm reden?«
    »Ich habe es versucht. Ich habe ihm erklärt, dass er vermutlich der meistgehasste Mann in Amerika ist, dass Millionen von Menschen ihn tagtäglich verfluchen, dass die meisten Leute ihn am liebsten tot sähen, dass er viermal soviel Hassbriefe bekommt wie alle anderen Richter zusammen, und dass er für einen Mörder eine ideale und leichte Zielscheibe ist.« Lewis wartete. »Und?«
    »Er hat gesagt, ich könnte ihn am Arsch lecken. Dann ist er eingeschlafen.«
    Die Mitarbeiter kicherten, wie es sich gehörte; erst dann begriffen auch die FBI-Agenten, dass Humor erlaubt war, und schlossen sich mit einem kurzen Auflachen an.
    »Also was unternehmen wir?« fragte Lewis ungerührt. »Sie beschützen ihn, so gut Sie können, halten es schriftlich fest und zerbrechen sich deswegen nicht den Kopf. Er fürchtet sich vor nichts, auch nicht vor dem Tod, und wenn er nicht nervös ist, warum sollten Sie es dann sein?«
    »Der Direktor ist nervös, also bin ich auch nervös, Chief. Es ist ganz simpel. Wenn einem von Ihnen etwas zustößt, muss das FBI es ausbaden.«
    Der Chief schaukelte auf seinem Stuhl. Der Lärm von draußen war entnervend. Diese Zusammenkunft hatte sich lange genug hingezogen. »Vergessen wir Rosenberg. Vielleicht stirbt er im Schlaf. Ich mache mir mehr Sorgen um Jensen.«
    »Jensen ist ein Problem«, sagte Lewis und blätterte in seinen Papieren.
    »Ich weiß, dass er ein Problem ist«, sagte Runyan langsam.
    »Er ist eine Pest. Manchmal hält er sich für einen Liberalen und votiert in der Hälfte der Fälle wie Rosenberg. Einen Monat später ist er ein weißer Suprematist und unterstützt die Rassentrennung in den Schulen. Dann entdeckt er seine Liebe zu den Indianern und möchte ihnen Montana
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