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Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition)
Autoren: Matthew Quirk
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Polizisten ins Gesicht getreten hatte, als ich geglaubt hatte, dass Annie mich verraten hätte, als ich Langfords Blut in der Dialysemaschine betrachtet hatte. Ich wollte meinem Zorn freien Lauf lassen, wollte jeden vernichten, der sich mir in den Weg stellte. Was für ein göttliches Gefühl wäre das.
    Aber jetzt wurde mir klar, dass mein Vater mir die Wahrheit gesagt hatte: Er war kein Mörder. Keine Gewalt. Wir waren vielleicht Diebe, aber wir waren keine Mörder.
    Henry spürte, dass ich schwankte. Ich sah die Erleichterung in seinen Augen.
    Ich stülpte ihm die Tüte über den Kopf, drehte ihn auf den Bauch, setzte mich auf seinen Rücken und zog die Tüte mit meiner gesunden Hand fest um seinen Kopf. Solange Henry lebte und die Strippen zog, würden die korrupten Machenschaften nicht aufhören. Ich würde nie frei sein.
    Er riss an der Tüte, zerrte an meiner Hand, scharrte auf den Bodenfliesen und trat gegen die Leichen, die neben ihm lagen: Drei volle Minuten wand er sich stöhnend unter der Plastikfolie. Es war widerwärtiger und anstrengender, als ich gedacht hatte.
    Sicher hätte ich zwischen den Toten noch eine Waffe mit ein paar Patronen oder ein volles Magazin gefunden. Draußen in den Gängen lagen noch mehr Leichen. Aber ich brauchte Henrys Augen. Noch lange, nachdem Henrys Füße zum letzten Mal schwach gezuckt hatten, hielt ich die Tüte fest umklammert.
    »Mike.« Die Stimme kam aus Henrys Büro. Ich riss den Kopf herum. Es war Annie.
    Ich zog Henry die Tüte vom Kopf und stopfte alle Waffen hinein. Ich durchsuchte Marcus’ blutverklebte Klamotten, bis ich fand, was ich suchte: die Papierbögen, die er mir abgenommen hatte, als er mich gefilzt hatte, die Pläne für das Haus, das sich mein Vater für seine Familie erträumt, aber nie gebaut hatte.
    Ich packte Henrys rechten Arm und schleifte den Körper über den Boden bis zur Tür, hinter der der Tresorraum lag. Annie steckte den Kopf durch die Wandtür.
    »Bist du okay?«, fragte ich.
    Sie nickte und starrte mit weit aufgerissenen Augen die Leichen an.
    »Gut«, sagte ich. »Ich hab’s gleich.«
    Sie zog sich wieder in Henrys Büro zurück.
    Ich schaute mir die Tür zum Tresorraum an: Hand- und Augenscanner. Hightech. Ich hob Henrys Arm hoch und drückte die Hand auf den Schirm. Das rote Lämpchen sprang auf Grün. Ich griff ihm unter die Achsel und wuchtete – ein Albtraum mit meiner ramponierten Hand und Schulter – seinen schlaffen Körper mit dem Knie und der gesunden Hand in die Höhe. Seine weit aufgerissenen Augen sahen gruselig aus. Ich schob den Kopf nach vorn, bis sich sein Auge vor dem Scannerauge befand. Mit einem dumpfen mechanischen Geräusch glitten die Riegel zur Seite.
    Ich ließ seinen Körper fallen und öffnete die Tür. In Regalen stapelten sich akkurat geordnet und beschriftet Aktenordner, Videokassetten, alte Tonbandspulen. Jedes Geheimnis, das Henry gesammelt hatte, um sein Imperium aufzubauen. Jahrzehnte der Erpressung und Nötigung, man brauchte nur zuzugreifen.
    Henry hatte recht gehabt. Da war alles, was ich brauchte, um in seine Fußstapfen treten und Washington beherrschen zu können. Als ich über den Mann stieg, den ich gerade getötet hatte, und sein Allerheiligstes betrat, fühlte ich mich jedenfalls nicht so, als wäre ich einer von den Guten.
    Jetzt konnte ich sogar einen noch besseren Deal machen. Alle Königreiche und allen Ruhm der Welt, und dafür brauchte ich nicht einmal vor Henry zu kuschen. Alles für mich allein. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht hatte tatsächlich jeder seinen Preis. Vielleicht war das meiner.
    »Mike«, sagte Annie. Sie stand in der Tür zum Tresorraum und betrachtete entsetzt jede einzelne Verletzung meines geschundenen Körpers.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ist mir nie besser gegangen«, sagte ich. »Und du, Schatz?«
    »Ja. Ein bisschen durch den Wind, das ist alles.«
    »Gut.«
    Ich humpelte zu ihr. Das Beste, was ich ihr angesichts meiner versehrten Verfassung an Umarmung bieten konnte, war, mich an sie anzulehnen. Sie fuhr mir mit den Fingern durchs Haar.
    Sie schaute zu den Regalen. »Was ist das?«, fragte sie.
    »Der Schlüssel zum Königreich.«
    »Und was hast du damit vor?«
    Ich schaute auf die Leichen und die gerinnenden Blutlachen auf dem Boden. Ich musste ein grässliches Chaos in den Griff bekommen: hier und im Justizministerium, dann die Beschuldigungen wegen des Doppelmords in Haskins’ Haus und einer Handvoll anderer Verbrechen, die ich auf meiner Flucht
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