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Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition)
Autoren: Matthew Quirk
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lange und merkwürdige Woche. Während ich mich wieder anzog, konnte man ihre Ereignisse an meinem Körper ablesen: Verbrennungen an den Händen aus dem Keller im Justizministerium; Schnitte im Gesicht von meinen Fahrübungen in der Tiefgarage; zwei Striemen am Hals von dem Taser im Museum; eine ausgekugelte Schulter von der »Schaukel« und auf der Brust das makabre Resultat von Rados Fingerfertigkeit. Dann die schon heilende Stichwunde im Oberschenkel aus jener gefühlsmäßig schon ein Jahr zurückliegenden Nacht, als ich mit angehört hatte, wie Marcus Haskins und Irin hinrichtete. Und schließlich mein angeschwollenes Knie, in dessen Innern definitiv irgendetwas gerissen war, entweder von einem der Stürze oder von dem Crash in der Tiefgarage.
    Als ich wieder angezogen war, deutete Marcus auf das abgegriffene Kuvert, das ich in der Hand hielt. Er wollte einen Blick hineinwerfen.
    »Erst wenn der Deal unter Dach und Fach ist«, sagte ich. »Wenn ihr mich verschwinden lasst, macht das die Runde.«
    Marcus führte mich durch die Betongänge des abgeschotte ten Gebäudeteils, von wo aus Gerald sein Überwachungsreich steuerte. Als wir Henrys Büro erreicht hatten, öffnete Marcus die Tür, schob mich hinein und bezog draußen Position.
    Davies deutete auf einen Stuhl am Ende des Konferenztisches. Ich setzte mich. Er stand am Fenster und blickte über das zu seinen Füßen liegende Washington. Ich wusste, welches Pfand er wollte.
    Für meine Seele würde er mir alle Königreiche und allen Ruhm der Welt anbieten. Es wäre ganz einfach. Ich brauchte nur nachzugeben und mich von ihm korrumpieren zu lassen, und der Albtraum hätte ein Ende. Keine Sorgen mehr über Rados Filetiermesser und Annies Sicherheit. Und ich würde das Haus, das Geld und die ehrbare Fassade zurückbekommen, die ich immer gewollt hatte.
    Er wollte einen Deal. Er wollte wieder das Gefühl haben, dass er mich in der Hand hatte. Und ich hatte Angst – nicht wegen der physischen Bedrohungen, denen ich ausgesetzt war, sondern dass ich nicht stark genug sein könnte, um Henrys Versprechungen zu widerstehen, seinem Manipulationsgeschick, das diese Stadt langsam und heimtückisch zerstört hatte. Ich hatte Angst, dass er mich umdrehen würde, dass ich alles tun würde, was er von mir verlangte, dass ich jetzt, nachdem ich den Preis der Rechtschaffenheit kannte – der Tod meines Vaters, die Bedrohung Annies –, mich wie alle anderen fröhlich für die Korrumpierbarkeit entscheiden würde.
    Das durfte ich nicht zulassen. Ich musste ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.
    Henry beugte sich zu mir herunter. »Nur ein Wort, und die ganze Sache ist vergessen. Kommen Sie zu uns zurück, Mike. Ein Wort reicht: Ja.«
    Henry wollte mich als seinen Protegé, als seinen Sohn. Ich wusste, dass er diese Absicht nicht so einfach aufgeben würde. Um mich dessen würdig zu erweisen, durfte ich nicht einfach akzeptieren, durfte nicht einfach klein beigeben und darum betteln, wieder aufgenommen zu werden. Henry würde nur einen Mann akzeptieren, der genauso gerissen war, wie er selbst in seinen jungen, hungrigen Tagen gewesen war, jemanden, der es ihm schwer machte.
    »Das ist echtes Vertrauen, Mike«, sagte er. »Wenn zwei Menschen die Geheimnisse des anderen kennen. Wenn sie sich gegenseitig in die Enge getrieben haben. Das Gleichgewicht des Schreckens. Alles andere ist sentimentaler Bockmist. Ich bin stolz auf Sie. Sie spielen das gleiche Spiel, das ich am Anfang auch gespielt habe.«
    Ich legte das versiegelte Kuvert auf den Tisch. Für Henry war dies das einzige Druckmittel, das ihn den Kopf kosten konnte: sein abgerissenes Ohrläppchen und der Polizeibericht, der seine Rolle bei Pearsons Tod darlegte. Ich hatte zwei Dinge, die er wollte: das Kuvert und mich selbst.
    Nur ich wusste, wer Haskins und Irin wirklich getötet hatte. Dieses Wissen und das Kuvert machten mich äußerst gefährlich.
    Mein Vater war tot, und vorläufig glaubte Henry noch, dass Annie mich verraten hatte. Er hatte nichts, womit er mich unter Druck setzen konnte. Ausnahmsweise hatte Davies nicht den überwältigenden Vorteil, an den er sich gewöhnt hatte. Jetzt war meine Zeit gekommen, gierig zu werden.
    »Der Mord an Haskins und Irin, die Manipulation des Obersten Gerichtshofs. Dahinter steckt mehr als nur Radomirs Fall. Das ist eine Langzeitinvestition. Wie viel bringt die Ihnen im Lauf der Zeit ein?«
    Henry lächelte, ganz der stolze Vater. Er wusste, worauf ich aus war. Genau, was er
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