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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie
Autoren: Joseph Gelinek
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seiner Situation wäre es lebensgefährlich gewesen, sich durch das Glas hindurchzuschlängeln. Als ihm klarwurde, dass nun alles verloren war, schnellte er herum und griff nach der Waffe auf dem Boden.
    Diesmal ging Mateos kein Risiko ein - und schoss ihm zweimal in die Brust.

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    Weit entfernt von diesem Schauplatz und in Tausenden Kilometern H öhe teilte Jean-François Haissant - seit einem Jahr Küchenchef an Bord von Marañóns Privatjet - dem Millionär mit, dass die Blutente, die er auf dem Flug zu speisen gewünscht hatte, serviert werden konnte.
    Vor einer halben Stunde hatten sie Wien in Richtung Madrid verlassen. Auf dem Sitz neben Marañón lag ein großer schwarzer Aktenkoffer mit dem Manuskript von Beethovens zehnter Symphonie. Der Millionär hatte sich aus naheliegenden Gründen in der Bank mit einer dunklen Brille und einem dichten grauen Schnurrbart getarnt - die Beschreibung, die der Angestellte, der ihn bedient hatte, bei der Europol abgeben könnte, wäre also absolut wertlos.
    Der Million är strich mit seiner beringten Hand über das schwarze Handköfferchen, in dem die Partitur lag. In der »freimaurerischen« Tonart c-Moll geschrieben, war dieses Stück eine wahre künstlerische Trophäe für die Bruderschaft. In ihrer Obhut würde sich die Symphonie von nun an befinden und bei geheimen Riten gespielt werden. Die zehnte Symphonie, Beethovens nie zur Uraufführung gekommenes Glanzstück, war zweihundert Jahre verborgen gewesen und würde es für die folgenden Jahrhunderte wieder sein.
    Mit Hilfe seiner Br üder aus der Loge, die es seit ewigen Zeiten gewohnt waren, Nachrichten zu chiffrieren und zu dechiffrieren, war es Marañón gelungen, die Noten von Thomas' Kopf zu entschlüsseln - nachdem ihn Paniagua auf die erste bedeutende Fährte, den Morsecode, gebracht hatte. Er wusste also, dass Thomas das Manuskript in einem Safe der Wiener Kreditanstalt aufbewahrte. Um einen Safe in einer solchen Bank zu öffnen, benötigt man jedoch zwei Dinge: die Kontonummer und den Schlüssel - und der Schlüssel fehlte ihm noch. Er musste sich auf jeden Fall in der Gewalt von Thomas' Mörder befinden. Doch obwohl der Millionär zwei Detektive mit dem Fall beauftragt hatte, war es ihm nicht gelungen herauszufinden, wer den Musiker getötet hatte.
    Der Zufall hatte ihm schlie ßlich den Schlüssel - und damit auch das Wissen über die Identität des Täters - in die Hände gespielt: Als Dona Susana während des Abramowitsch-Konzerts nach ihrem klingelnden Handy gesucht hatte, war sie gezwungen gewesen, den gesamten Inhalt ihrer Handtasche auszuleeren, und Marañón, der neben ihr gesessen hatte, hatte den Safeschlüssel mit seiner charakteristischen Kleeblattform und dem eingravierten Namen der Bank bemerkt. Danach musste der Millionär nur noch seinem Sekretär auftragen, Dona Susana ein starkes Schlafmittel zu verabreichen und ihre Tasche in dieser Nacht zurückzubehalten, als hätte sie sie wegen ihres Schwächeanfalls vergessen. Am folgenden Morgen ließ er gleich in der Frühe bei einer auf Kopien von Sicherheitsschlüsseln spezialisierten Firma ein Duplikat anfertigen und sandte dann seinen Chauffeur unverzüglich mit der Tasche und dem Schlüssel darin zur Richterin, damit die ihn nicht vermisste.
    Es waren noch zweieinhalb Stunden bis zur Landung, und Marañón schickte sich an, seine heißbegehrte Errungenschaft mit einem Gericht zu feiern, das er schon so viele Male in seinem Pariser Lieblingsrestaurant La Tour D'Argent bestellt hatte: Blutente. Seit dem La Tour Mitte der Neunziger ein Michelin-Stern aberkannt wurde, hatte er das Restaurant nicht mehr besucht und diese Delikatesse nicht mehr genossen.
    Marañón war sich sicher, das legendäre Restaurant von Claude Terrail bald, wenn es den verlorenen Stern wiedergewonnen hätte, wieder aufsuchen zu können - doch zu seiner Überraschung straften die Franzosen das Etablissement 2006 mit der Aberkennung eines weiteren Sterns. Der Millionär liebte Blutente abgöttisch, doch er hatte nicht die Absicht, sich in einem Restaurant zweiter Kategorie zu zeigen - geschweige denn, dort fotografiert zu werden. Also hatte er bei Sotheby's zu einem astronomischen Preis eine der wenigen Entenpressen, die es in Europa gab, ersteigert und einen der besten Köche der Welt unter Vertrag genommen, damit dieser für ihn persönlich das legendäre, seit dem Mittelalter bekannte Gericht zubereitete.
    Vor dem Start hatte Marañón angeordnet, dass das Ausquetschen der
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