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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
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noch auf diesem Gang befand; während meiner Zeit hier hatte ich mich nie umgesehen. Jetzt fragte ich mich, wie weit wohl der nächste Securityposten entfernt war. »Hey!«, rief ich wieder, diesmal energischer, und rammte eine Faust gegen die Tür.
    Normalerweise brauchte man auf Y4 keine Sicherheitsleute – es gab schließlich die Schatten. Diese gruseligen, teerartigen Gebilde lebten tief in der Erde unterhalb des Krankenhauses und ernährten sich von den Schmerzen, die sich hier sammelten. Sie überwachten die Gäste auf Y4 und behielten auch diesen Fahrstuhl im Auge.
    »Kommt schon …« Ich spähte zu den Schallschutzplatten an der Decke hinauf. Dort oben gab es jede Menge Spalten, in denen sie sich verstecken konnten. »Ich weiß, dass ihr mich sehen könnt. Und dass ihr genau wisst, wer ich bin.«
    Die Schatten löschten das Gedächtnis aller, die etwas zu sehen bekamen, was sie eigentlich nicht sehen durften. Als ich ging, hatten sie mir angeboten, auch eine solche Gehirnwäsche verpasst zu bekommen. »Bitte, es ist wichtig …« Sie waren es auch gewesen, die mir den Handel angeboten hatten, die Sache mit meinem Bruder ins Lot zu bringen, wenn ich im Gegenzug auf Y4 arbeitete. Und ich wusste, dass sie mit den anderen Mitarbeitern auf der Station ganz ähnliche Deals hatten.
    Schweigen. Vielleicht waren sie ja nicht mehr da. Vielleicht wurden sie gerade bestraft. Schon einmal hatten sie Y4 im Stich gelassen, um eine Gefangene zu verfolgen, die ihnen entwischt war. Und während ihrer Abwesenheit konnte ich die Blutvorräte vernichten, da sie sonst gestohlen worden wären. Es war wie im Krieg gewesen … damals erschien es mir ganz logisch. Aber hätte ich gewusst, dass ich mit dieser Aktion das Todesurteil meiner Mom unterzeichnete …
    Wütend wedelte ich mit dem Ausweis vor dem Sensor herum. »Lasst mich rein!«
    »Warum?« Über meinem Kopf verdichtete sich die Dunkelheit zu einer Art winzigem Wirbelsturm. Dieser Anblick weckte böse Erinnerungen.
    »Ich muss da rein. Ich will meinen alten Job wiederhaben.« Vorsichtig trat ich einen Schritt zurück; ich wollte nicht, dass sie mich berührten – ergossen sie sich einmal über mich, wüssten sie innerhalb weniger Sekunden alles, was in mir vorging. Außerdem hatten sie immer noch die Macht, Teile meiner Erinnerung auszulöschen.
    »Du hast nichts mehr, was für uns von Interesse wäre, Mensch. Außerdem bist du eine Geächtete.« Die Dunkelheit begann sich wie Rauch aufzulösen, der vom Wind verweht wird.
    »Kommt schon …« Flehend sah ich zu den Deckenplatten hinauf. »Gibt es denn gar nichts, was ich euch anbieten könnte?«
    Die Überreste der Wolke erstarrten und hingen wie eine dünne Membran über mir. »Weißt du, nach wem wir damals gesucht haben?« Die Verkörperung ihrer Anwesenheit pulsierte bei jedem Wort, wie eine graue Lunge, die sich bei einem widernatürlichen Atemzug zusammenzieht.
    »Nein. Wer ist es?«
    »Santa Muerte. Sie wird noch immer vermisst. Wenn du sie finden würdest, könnten wir ins Gespräch kommen.«
    Die Unterhaltung war beendet, der graue Nebel löste sich auf und ich war entlassen.
    Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich etwas – oder jemanden – finden sollte, den nicht einmal die Schatten aufspüren konnten. Dieser vollkommen hirnrissige Auftrag war nun wirklich keine praktikable Lösung. Verdammter Mist …
    Neben mir tauchten drei Leute in OP-Kleidung auf, keiner davon ein ehemaliger Kollege. Offenbar kamen sie gerade aus ihrer Pause zurück. Dass ich hier herumstand, schien sie zu überraschen, doch einer von ihnen hielt seinen Ausweis vor den Sensor.
    Wenn ich es nur bis nach unten schaffen könnte – schließlich bestand die gesamte Belegschaft dort unten aus Menschen (und wenn ich Glück hatte, aus ehemaligen Schichtkollegen). Sie wussten alle, was Mitgefühl war.
    Als der Aufzug kam, wollte ich mit den drei anderen einsteigen, aber einer von ihnen hielt mich auf. »Ich will doch nur nach unten …«, versuchte ich mich an einer möglichst netten, unschuldigen Erklärung.
    Der Mann, der mir den Weg versperrte, schüttelte den Kopf. »Nein, wollen Sie nicht. Glauben Sie mir.«
    »Doch, wirklich! Sie kennen mich zwar nicht, aber …« Sein Lächeln wirkte leicht verkrampft, woraufhin ich hastig mit der Hand die Fahrstuhltür blockierte. »Bitte, ich muss nur …«
    »Dazu sind Sie nicht autorisiert.« Der Mann neben mir löste sanft meine Finger von der Stahltür. Ich ließ es geschehen, weil ich keine
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