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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
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gleich.«
    Während meines gesamten Lebens war meine Mutter immer mein Fels in der Brandung gewesen. Meine Kindheit war zwar ziemlich chaotisch abgelaufen, und als Teenager hatte ich ihr das auch übel genommen, aber nun als Erwachsene war mir bewusst geworden, dass auch sie nur ein Mensch war und immer ihr Bestes gegeben hatte. Dass sie nicht unfehlbar war, sorgte nur dafür, dass ich sie noch mehr liebte. Ich durfte sie einfach nicht verlieren! Mein Herz raste, und ich fühlte mich, als hätte mir jemand in den Magen geschlagen. Obwohl die Ampel wieder rot war, fuhr ich los, bog in die nächste Seitenstraße ein und hielt an, um mich zu sammeln.
    Auf dem Display des Handys leuchtete noch immer Moms Foto. Es war ganz verschwommen. Hektisch rieb ich mit dem Daumen darüber, bis ich erkannte, dass es nicht die Tagescreme von meiner Wange war, die das Bild verschmierte. Ich weinte. Angestrengt atmete ich ein und schluckte die Tränen hinunter. Nein, noch nicht.
    Zuerst musste ich herausfinden, wie schlimm es eigentlich war. Es gab unglaublich viele verschiedene Krebsarten, fast schon Tausende. Und es konnte schließlich gut sein, dass es sich bei ihr nur um eine leichte Form handelte, richtig? Da konnten die Ärzte jede Menge tun: Chemo, Bestrahlung, Operation. Meine Mom war stark, sie konnte es schaffen. Immerhin bekam sie jede Menge Unterstützung, von ihrer Kirchengruppe, ihrem Mann und von mir.
    Aber vielleicht ist das nicht genug, flüsterte eine kleine, verängstigte Stimme in meinem Inneren. Wer wüsste besser als eine Krankenschwester, dass manchmal auch die Guten sterben, Therapien und gute Absichten hin oder her?
    Ich aktivierte die Tastensperre des Handys und legte es vorsichtig auf den Beifahrersitz, damit ich nicht der Versuchung erlag, es vor Frust aus dem Fenster zu schleudern.
    Bis vor Kurzem hatte ich Wesen gekannt, die – falls sie nicht mit Weihwasser duschten oder aus Versehen in einen Holzpfahl stürzten – ewig lebten. Wenn es sein musste, würde ich dafür sorgen, dass sie auch meiner Mom ewiges Leben verschafften.

Kapitel 2
     
    Ich mied den Highway, denn dort wäre ich auf dem Weg zu Mom nur viel zu schnell gefahren und hätte dabei andere Autofahrer bedrängt. Aber jeder Stopp auf den Nebenstraßen kam mir vor wie ein persönlicher Angriff – und als würden mir alle, die in der Rushhour versuchten, gleichzeitig nach Hause zu kommen, absichtlich den Weg versperren. Irgendwann kurbelte ich die Fenster hoch, damit die Leute nicht hörten, wie ich sie beschimpfte.
    Als ich das Haus meiner Mutter erreichte, war ich heiser, aber die Erschöpfung fühlte sich gut an. Ich blieb noch einen Moment sitzen, damit ich etwas gefasster wirkte, dann schob ich das Handy in die Handtasche und ging zur Tür.
    Sie war verschlossen.
    »Verdammte Sch…« Ich klopfte. Mann! Sie wussten doch, dass ich auf dem Weg zu ihnen war.
    Peter öffnete mir. »Bitte entschuldige die Umstände, aber wir haben auch Jake angerufen.«
    Ich konnte verstehen, dass mein Stiefvater erst sehen wollte, in welcher Verfassung Jake war, bevor er ihn reinließ. »Tja, mit dem Bus braucht er wesentlich länger hierher.« Falls mein Bruder überhaupt genug Geld für den Bus hatte.
    »Edie … das Abendessen ist noch nicht fertig«, rief meine Mutter entschuldigend aus der Küche herüber. Ich stellte meine Tasche ab, zog die Schuhe aus und ging zu ihr.
    »Ich habe gar keinen Hunger, Mom. Erzähl mir alles, sofort.«
    »Na ja …« Ihr Blick huschte zu Peter, wie um ihn wortlos um Erlaubnis zu bitten. So etwas hätte ich nie getan; es weckte in mir den Impuls, meine Mutter zu schütteln. Aber so war sie nun einmal – und sie würde sich auch nicht mehr ändern. »Es ist Brustkrebs, im vierten Stadium. Ich weiß es schon eine Weile …«
    »Das soll wohl ein Witz sein«, rief ich wütend. Peter trat vor und wedelte beschwichtigend mit den Händen. Seit Weihnachten hatten wir uns nur zwei-oder dreimal gesehen, aber mindestens einmal pro Woche telefoniert. Mom schien bei diesen Gelegenheiten zwar nicht ganz auf der Höhe zu sein, wirkte aber nicht wirklich krank. Oder zumindest nicht krebskrank. Ich war davon ausgegangen, dass sie deprimiert war wegen Jake. »Warum hast du denn nichts gesagt?«
    »Du hast immer so traurig gewirkt, Edie. Ich dachte eben, es ginge dir genauso wie mir, dass dich die Sache mit Jake belastet.«
    Nein, Jake hatte ich abgeschrieben. Das war etwas ganz anderes als eine Belastung. »Mom … wie schlimm ist
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