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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
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Müslischüsseln. Nach diesem Erlebnis hatte ich immer darauf geachtet, mein eigenes Plastikgeschirr mitzubringen, und meinen Kontakt mit Pharmaprodukten auf die Benutzung der diversen Kugelschreiber beschränkt, die das Medikament des Monats anpriesen.
    Und auf keinen Fall wollte ich ein solches Medikament des Monats nehmen . Natürlich wusste ich, dass Pharmazeutika helfen konnten – in manchen Fällen waren sie bei Depressionen sogar überlebenswichtig. Doch angesichts meiner Situation waren meine Probleme irgendwie … verdreht. Eigentlich könnte man meinen, der Stressfaktor eines Jobs, bei dem man es mit Vampiren und Formwandlern zu tun bekam, hätte mir den Rest gegeben, aber nein, meine Depressionen kamen erst danach , pünktlich zum Frühlingsbeginn.
    Auf der Heimfahrt kurbelte ich die Fenster meines Autos herunter, in der Hoffnung, dass ich mich durch den Fahrtwind im Gesicht ein wenig lebendiger fühlen würde. Es funktionierte – zumindest, bis mich der Gedanke einholte, dass ich an diesem Abend Schicht hatte. Mein Magen verkrampfte sich, und ich zählte eins und eins zusammen. Die Arbeit in der Schlafklinik machte mich krank.
    Man kann einfach nicht jede Nacht über einen Videomonitor anderen beim Schlafen zusehen und dabei geistig gesund bleiben. Nach zwei Jahren Erfahrung auf der Intensivstation hatte ich die letzten sechs Monate damit verbracht, schlafende Menschen zu beobachten und ihrem Geschnarche zu lauschen. Das war ungefähr so, als würde ein Pilot von einem Kampfjet auf ein Modellflugzeug umsteigen – und zwar auf ein langweiliges, selbst zusammengebautes, das in Spielzeuggeschäften von der Decke hängt.
    Mein Handy klingelte. Als ich das Foto meiner Mutter sah, ging ich ran, auch wenn das im Auto eigentlich verboten war. »Hey, Mom.«
    »Hallo, Edie! Könntest du kurz vorbeikommen?«
    Da ich schon mein Leben lang die Tochter meiner Mutter war, hörte ich an ihrer Stimme, dass irgendetwas im Argen lag. »Äh, klar doch. Warum?«
    Sie versuchte, mich abzulenken. »Du fährst doch nicht etwa Auto und telefonierst dabei, oder?«
    »Nein«, log ich. »Was ist denn los?«
    »Nichts … ich wollte nur …« Sie zögerte. Meine Mutter hatte so einige Talente, aber Lügen gehörte nicht dazu.
    Während ich schweigend wartete, listete mein Gehirn alle Katastrophen auf, die infrage kamen. Die Aufzählung war kürzer als noch vor einem halben Jahr, da die übernatürliche Gemeinde mich inzwischen ja ächtete. Wenn meine Mutter mich damals mit diesem Ton in der Stimme angerufen hätte, wäre ich wahrscheinlich in Panik ausgebrochen und hätte die Polizei gerufen – auch wenn das wohl ziemlich wenig Sinn gemacht hätte.
    Gott sei Dank hatte Mom damals nicht gewusst, wo genau ich arbeitete, mit wem ich meine Zeit verbrachte und was ich insgesamt so trieb.
    Jetzt nahm mein Bruder ganz klar den ersten Platz auf meiner Gründe-warum-meine-Mutter-mich-mitten-am-Tag-anruft-Liste ein. Während meiner Zeit am County hatte ich Jake eine kurze Verschnaufpause von seiner Heroinsucht verschafft. Solange ich dort angestellt war, hatten die Schatten ihre seltsame Magie gewirkt und ihn gegen die Wirkung der Droge immunisiert, sodass er nichts mehr spürte, ganz egal, wie viel Heroin er sich in den Körper pumpte.
    Bis zu meiner Ächtung war er also clean geblieben, doch dann nahm seine Immunität ein abruptes Ende. Und natürlich war Jake wenig später wieder voll drauf. Inzwischen versuchte ich, möglichst wenig an ihn zu denken. Das machte mich nur traurig.
    Ich hielt an einer roten Ampel, während es in der Leitung weiter still blieb. »Na ja, ich habe eine schlechte Nachricht bekommen«, fuhr meine Mutter schließlich fort. »Du bist doch rechts rangefahren, oder?«
    »Natürlich«, log ich weiter. Was auch immer es war, das klang übel. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Jake, tot in der Gosse aufgefunden. Das Bild schoss mir sofort in den Kopf, gefolgt von Trauer und schuldbewusster Erleichterung.
    »Gut, also dann: Ich habe Krebs«, erklärte sie sachlich.
    »Was?« Der Wagen hinter mir begann zu hupen. Ich sah hoch. Die Ampel hatte umgeschaltet. »Was – wo?«
    »Ich dachte mir, vielleicht kannst du ja herkommen und mit Peter und mir zu Abend essen? Dann könnten wir alles besprechen.« Das Hupen wurde lauter.
    Alles besprechen, klar doch. Aber bis zum Abendessen warten? Keine Chance. »Ich komme jetzt gleich, Mom.«
    Wenigstens versuchte sie nicht, es mir auszureden. »Das klingt gut, Liebes. Dann bis
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