Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
Vom Netzwerk:
es?«
    »Weißt du, die Ärzte haben wirklich alles versucht, um es in den Griff zu bekommen. Aber anscheinend gelingt ihnen das nicht. Wir haben es zu spät entdeckt. Die Chemo wirkt nicht, jetzt ist die Leber auch noch betroffen, und der Krebs ist inoperabel. Mir bleiben noch ein paar Monate, vielleicht sogar ein Jahr, aber …«
    »Das ist nicht wahr«, unterbrach ich sie und sah zu Peter hinüber, der mir bestätigte, was sie da sagte, indem er meinem Blick auswich. »Nein, das kann nicht sein, die Ärzte irren sich.« Ich rannte zu meiner Handtasche und kam mit Notizblock und Stift in der Hand zurück. »Okay, sag mir ihre Namen. Ich werde mich nach ihnen erkundigen, mal sehen, ob die wirklich so gut sind – obwohl ich dir jetzt schon sagen kann, dass sie das nicht sind. Und dann suchen wir dir neue Ärzte. Bessere. Die Besten, die allerbesten Ärzte, die es gibt.«
    »Edie …« Scheinbar arglos stand meine Mutter hinter ihrer Kücheninsel. Im Schein der Deckenlampe glänzten die Haare auf ihrem Kopf, die, wie ich jetzt vermutete, wohl zu einer Perücke gehörten. »So läuft das nicht.«
    »Du irrst dich.« Hätte es irgendeine Möglichkeit gegeben, mich in ihren Körper einzuschleusen und jede Krebszelle einzeln abzumurksen, hätte ich es getan.
    »Es geht auch um die Lebensqualität, Edie«, setzte sie an.
    »Du bist doch Krankenschwester, du solltest wissen, was diese Diagnose bedeutet«, ergänzte Peter aus seiner Ecke. Ich wirbelte zu ihm herum. Mir war egal, was er dazu zu sagen hatte. Vielleicht hatte er sie mit HPV angesteckt, die das Wachstum der Krebszellen beschleunigten. Oder es hatte mit der Haut angefangen, indem diese ganzen Floridareisen im Winter, zu denen er sie immer nötigte, den Auslöser darstellten.
    Mir war klar, dass meine Überlegungen leicht irrational wurden, aber das war immer noch besser, als der Realität ins Auge zu blicken.
    »Ich möchte, dass du meine Wünsche respektierst, Edie.« Sie trat hinter dem Tresen hervor, sodass ich sie nun ganz sehen konnte. Die Kleidung hing schlaff an ihrem Körper herab. Wann war das denn passiert? Wie hatte ich nur so blind sein können? Verdammt noch mal, ich war Krankenschwester. Doch sie war eben keiner meiner Patienten. Sie war meine Mom.
    »Ich will aber kämpfen!« Verzweifelt schlug ich mir mit der Faust gegen die Brust.
    »Das war schon immer dein Problem, Liebes.« Meine Mutter lächelte mich traurig an. »Du weißt nicht, wie es ist, nicht zu kämpfen.«
    Während des Abendessens legte ich es darauf an, Mom zu verdeutlichen, dass ihr Weg der falsche war. Als könnte ich ihr, indem ich mich bis zum Dessert zusammenriss und zur Abwechslung mal nicht explodierte, beweisen, dass sie ihre Meinung ändern musste. Verbissen stopfte ich das Essen in mich hinein, schluckte halb gekaute Bissen und spürte, wie das trockene Hühnerfleisch an meiner Speiseröhre klebte – während mir gleichzeitig deutlich bewusst wurde, dass Mom viel weniger aß als früher.
    Mein einziger Trost bestand darin (nein, eigentlich war es keiner), dass ich zur Stelle sein würde, wenn Jake seinen verfluchten Arsch hierherbewegte. Vielleicht war er bei dieser Sache ja auf meiner Seite, dann könnten wir Mom gemeinsam dazu überreden, nicht einfach aufzugeben. Aber vielleicht lebten ja auch kleine grüne Männchen auf dem Mond. Wahrscheinlicher war, dass Jake es kaum abwarten konnte, bis sie starb, damit er an sein Erbe herankam und es sich in den Arm spritzen konnte. Frustriert spießte ich das nächste Stück Huhn auf mein Messer.
    Nach dem Essen setzten wir uns ins Wohnzimmer und redeten. Wie sich herausstellte, ist Krebs ein höchst vereinnahmendes Thema: Man hat den Kopf für nichts anderes mehr frei. Denn Mom erzählte mir von dem Missionsprojekt ihrer Kirchengemeinde, irgendwo in Mexiko, und ich hörte ihr zu, ohne wirklich dabei zu sein.
    Es wurde spät, und als Jake endgültig nicht auftauchte, verabschiedete ich mich schließlich ohne eine Träne zu vergießen. Denn zu weinen hätte bedeutet, dass alles verloren war. Aber wenn ich weiterhin stark blieb, konnte ich auch meine Mutter vielleicht dazu zwingen, stark zu bleiben.
    »Wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen, Edie«, sagte Mom sanft, als ich gebückt die Arme um sie schlang, damit sie nicht vom Sofa aufstehen musste. Ich versuchte zu verdrängen, wie schwach ihre Umarmung war.
    »Ich komme morgen wieder vorbei«, versprach ich, als Peter mich zur Tür brachte.
    »Sie ist in letzter Zeit immer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher