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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
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so müde und braucht viel Ruhe«, erklärte er mir, sobald wir den Flur erreicht hatten. Ich schlüpfte in meine Schuhe und griff nach der Handtasche. Doch bevor ich durch die Haustür schlüpfen konnte, stellte sich Peter mir in den Weg und sah mich durchdringend an. Ich wusste, was er mir damit zu sagen versuchte: Denken konnte ich mir, was ich wollte, aber ihm wäre es lieber, wenn ich meine Meinung für mich behielt.
    Zwischen Peter und mir herrschte nicht immer Einigkeit – doch bis zu diesem Moment war ich immer felsenfest davon überzeugt gewesen, dass er für meine Mutter nur das Beste wollte. Aber wenn er glaubte, ich würde ihr Schicksal einfach so hinnehmen …
    Die tiefen Schatten, die unter den Augen meiner Mutter lagen, waren auch in Peters Gesicht zu sehen. Am liebsten hätte ich so getan, als wären sie nicht da, damit ich wütend auf ihn sein konnte. Doch jetzt fragte ich mich, wie viele Nächte er wach gelegen hatte, wie oft er auf der Toilette neben ihr kniete, wie viele Haarbüschel er schon auf dem Kopfkissen neben sich gefunden hatte. Ich rief das Kleinkind in mir zurück zur Ordnung und wurde wieder zu einer erwachsenen Krankenschwester. Richtete mich auf, überließ ihr das Kommando.
    »Ich werde alle paar Tage vorbeikommen, damit es nicht zu anstrengend für sie wird. Lass es mich wissen, wenn du mal eine Auszeit brauchst.« Mit einem drohenden Schritt in seine Richtung starrte ich ihn an. »Und ab jetzt informierst du mich, wenn irgendwelche Veränderungen eintreten – sonst würde ich mir das nie verzeihen, und dir auch nicht.«
    Er nickte grimmig, dann öffnete er die Haustür und ließ mich gehen.
    Vollkommen gefasst fuhr ich los. Ich rammte weder Briefkästen noch Laternenmasten. Als ich zwei Straßen weiter dann aber fast gegen eine Mülltonne geknallt wäre, hielt ich vorsichtshalber an.
    Jetzt durfte ich weinen. Dicke Tränen quollen aus meinen Augen, und da ich keine Taschentücher im Wagen hatte, musste ich mir mit dem Saum meines Shirts den Rotz aus dem Gesicht wischen. Das sah bestimmt hinreißend aus, wie ich abwechselnd vor Verzweiflung fast erstickte und meinen bleichen Bauch entblößte. Eine Viertelstunde später war mein Heulanfall vorbei, und auch wenn ich jetzt vollends erschöpft war, wusste ich, dass ich sicher auf den Highway fahren konnte.
    Der Teil meines Verstandes, der nicht vor Schmerz fast verrückt wurde, begann Berechnungen anzustellen. Die Situation wäre viel einfacher gewesen, wenn ich im Dezember nicht sämtliche Vampirblutvorräte des County vernichtet hätte. Denn hätte ich das nicht getan, könnte ich jetzt einfach bei der Arbeit ein wenig Vampirblut abzweigen oder vor dem Transfusionslabor jemandem auflauern und ihn mit einem Karateschlag oder sonst etwas außer Gefecht setzen, damit ich ihm die Blutkonserve stehlen konnte.
    Aber weil ich vor sieben Monaten die Feiertage damit verbracht hatte, alles zu ruinieren, wusste ich jetzt nicht einmal, ob das Labor überhaupt noch benutzt wurde.
    Ohne es zu bemerken – vielleicht, weil ich so mit Pläneschmieden beschäftigt war –, nahm ich wie gewohnt die Ausfahrt zum County Hospital. In mir regte sich keinerlei Widerspruch, nicht einmal, als ich mir einen Parkplatz suchte. Bis ich den gefunden hatte, dauerte es eine Weile, da am frühen Abend immer Hauptbesuchszeit war, was aber auch ein Vorteil sein konnte, da ich mich dadurch leichter reinschmuggeln konnte. Ich wusste, dass der Zugang zu allen Intensivstationen gesperrt war, ohne Dienstausweis gab es kein Durchkommen.
    Aber Y4, die Station, auf der übernatürliche Patienten behandelt wurden, verfügte über eine weitere Sicherung – und zwar einen Aufzug. Ich schlich durch die Flure und Treppenhäuser, bis ich vor der orangefarbenen Fahrstuhltür landete. Ein seltsames Gefühl, hier ohne Arbeitskleidung zu stehen.
    Alles der Reihe nach. Ich kramte in meiner Handtasche, bis ich meinen alten Dienstausweis fand. Obwohl ich nicht glaubte, dass er noch irgendwie von Nutzen sein könnte, trug ich ihn weiter bei mir. Sollte ich allerdings einem meiner alten »Freunde« begegnen, war ich sowieso tot, bevor ich mit dem abgelaufenen Ausweis wedeln konnte. Aber der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.
    Ich hielt die Karte vor das Lesegerät des Aufzugs. Das Lämpchen leuchtete nicht auf. Ganz langsam zog ich ihn noch einmal darüber.
    Kein Glück.
    Plan B – ein Tritt gegen die Tür. »Hey!«
    Meine Stimme hallte durch den Flur. Ich wusste nicht, was sich sonst
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