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1610 02 - Kinder des Hermes

1610 02 - Kinder des Hermes

Titel: 1610 02 - Kinder des Hermes
Autoren: Mary Gentle
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[Anmerkung des Übersetzers: Dieses Dokument ist das kürzeste derjenigen, die nicht in Rocheforts Handschrift verfasst und den Memoiren beigelegt worden sind. Es ist auch dasjenige, das vom Feuer am meisten beschädigt worden ist und damit auch das, für das die Rekonstruktionsmaßnahmen per Computer besonders aufwendig gewesen sind. Jene Stellen, wo eine Rekonstruktion unmöglich war, habe ich mit Klammern markiert, […], und jene, die aus dem Zusammenhang wiederhergestellt worden sind, in Fettdruck hervorgehoben.]
    Es ist schwer, sich zu erinnern, jetzt, da alles schmerzt und meine Hände nur noch arthritische Knoten sind, die noch nicht einmal mehr eine Feder zu halten vermögen, obwohl ich mit ihnen einst Rapier und Dolch gezogen habe, um mich damit in den Kampf zu stürzen. Aber es ist wahr. Das konnte ich, und das habe ich getan.
    Schreibt alles nieder, so wie ich es Euch erzähle.
    Schreibt alles nieder, so wie ich es sage.
    Ja.
    Es ist die Sünde des Stolzes, Vater. Für eine Frau, wenn sie genießt […]
    […] Das ist schon besser. So wie Ihr es dort auf dem Papier habt.
    Wenn ich damit leben kann, was mit mir geschieht, Priester, dann könnt Ihr auch damit leben, es niederzuschreiben.
    [Zwei weitere Zeilen sind vollkommen verbrannt.]
    […] Ich war jung damals. Paris und Zatons Speisehaus lagen schon lange hinter mir. Ich aß im Silver Martlet, dem ›Silbernen Hämmerchen‹, mit jenen der Schauspieltruppe, die man als ›Prinz Henry's Men ‹ kannte. Alles Männer und ich die einzige Frau. Mein Schutz war, dass ich jeden von ihnen hätte töten können.
    Der Samurai bat mich um Hilfe, um an den Hof von König James zu kommen. Nähen ist eine Kunst für Frauen, die einem jungen Mann nicht geziemt. Dann war ich verwirrt, denn tatsächlich schien die Aufgabe keinerlei Können zu erfordern! Keines der Kleidungsstücke des Samurai war zurechtgeschnitten; sie bestanden schlicht aus langen Stoffstreifen, so breit wie mein Unterarm vom Ellbogen bis zum Handgelenk. Können war nur am Kragen und an den Schultern vonnöten. Ich saß auf dem Boden des Mietshauses am Dead Man's Place, fluchte vor mich hin, stach mir in die Finger und machte das, was der Samurai kimono, kosode und kagashina nannte.
    Monsieur Saburo besorgte sich Holzschuhe und trug sie an den nackten Füßen, nicht über den eigentlichen Schuhen wie ein guter Christ. Seine Gewänder bestanden aus mehreren Schichten und wirkten wahrhaft prächtig, wenn er sie alle anlegte. Ich beneidete ihn um seine Kattanklingen, doch er wollte mich kein Duell mit ihnen ausfechten lassen. Er ging wieder nach Whitehall, um sich dort mit dem Herrn Minister zu treffen, und überließ es mir, den Helm zu bewachen, den er kabuto nannte – manchmal nannte er ihn allerdings auch akoda-nari; auf jeden Fall wollte er ihn nicht unbewacht lassen, und an den Hof konnte er ihn noch nicht mitnehmen.
    An jenem Tag fühlte ich mich am ganzen Leibe hundeelend. Ich hatte bis tief in die Nacht hinein gewürfelt. Ich zog das mit Pelz abgesetzte Gewand eines alten Mannes übers Hemd, zitterte, trank Dünnbier und saß auf dem Bett, wo ich mein Rapier reinigte und schärfte.
    Damals war ich schon seit über zwei Jahren allein gereist, Vater. Und vergesst nicht, dass ich mit fünf Brüdern aufgewachsen bin! Ich habe nie vergessen, wie stark Männer sind, wenn ich keine tödlichen Waffen habe, selbst jetzt nicht, da ich alt bin und es egal ist. Die Hälfte meiner Freude am Demütigen und Töten rührte von dem Wissen her, wie ich mich dank meiner Fähigkeiten dem Zugriff der Männer entziehen konnte.
    So manch ein junger Mann könnte Euch das Gleiche sagen. Das Schwert ist der große Gleichmacher.
    Ich säuberte, polierte und schärfte mein Rapier, das ich nach drei Nächten Würfeln von einem Italiener gewonnen hatte. Ich hatte es unbedingt haben wollen, nachdem ich gespürt hatte, dass es schlicht perfekt ausbalanciert gewesen war. Ich baute alles auseinander, das ganze Wehrgehänge, um das Leder mit Öl geschmeidig zu machen. Wenn Euer Leben an den Waffen hängen würde, die Ihr führt, würdet Ihr deren Pflege auch niemand anderem überlassen, Vater.
    Daheim wäre es bereits Juni und heißer gewesen; doch selbst in England musste ich ungeachtet des Gestanks, der mit der kühlen Brise von den Hundezwingern ins Zimmer wehte, um diese Jahreszeit die Fenster zum Hof hin öffnen.
    Ich schlief über meinen Waffen in der Morgensonne ein.
    Ich empfinde keine Schuld. Jeder Mensch begeht
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