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Eviana - Ein leiser Zug von Magie

Eviana - Ein leiser Zug von Magie

Titel: Eviana - Ein leiser Zug von Magie
Autoren: Marcus Schneider
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I
    Eva Lottas gleißend blaue Augen bohrten sich in den Punkt, der sich schnell auf sie zu bewegte. Noch konnte sie nicht unterscheiden, ob es ein Mensch oder ein Tier war. Es war schon Mittag. Rehe sah man zu dieser Zeit normalerweise nicht mehr. Hatte jemand ein Wildschwein aufgestöbert? Dazu bewegte sich der Punkt zu gradlinig.
    “Golly, Rangy, schaut mal.” Die beiden Jungs unterbrachen ihre Arbeit an dem Baumhaus und blickten in die gleiche Richtung wie Eva Lotta.
    “Ich sehe nichts.” Golly war einen Kopf größer als Eva Lotta und überragte auch Rangy deutlich. Für sein Alter war er erstaunlich stark. Weil er schon bei seiner Geburt groß und schwer gewesen war, hatten seine Eltern ihn Goliath getauft. Aber seine beiden Freunde nannten ihn nur Golly. Nur Kraft und Größe verbanden ihn mit dem biblischen Riesen. Ansonsten war er von sanftem, manchmal einfachem Gemüt. Scharfsichtigkeit hatte ihm noch niemand nachgesagt.
    “Du blindes Huhn. Das ist ein Wildschwein.” Auch Rangy war kleiner als Golly, aber er glich die fehlende Kraft durch Geschicklichkeit und Pfiffigkeit mit Leichtigkeit aus.
    “Jetzt sehe ich es auch. Wie ungewöhnlich. Es schlägt kaum Haken?” Eva Lotta flocht weiterhin aus jungen Zweigen eine Wand ihres Baumhauses. Sie war überaus geschickt darin, auch deswegen, weil sie zu Hause stundenlang Körbe flechten musste. Doch das war noch eine ihrer liebsten Arbeiten.
    “Das Schwein möchte sich sicherlich zum Essen anbieten, schaut nur, hinter ihm ist noch ein Punkt.”
    “Wo?” Golly hielt nun eine Hand über seine Augen, aber das half nichts, schließlich stand die Sonne hinter ihnen.
    “Golly, vergiss es, du wirst es erst sehen, wenn es dich umläuft.” Rangy machte häufig Scherze auf Gollys kosten. Golly machte das aber nichts aus, denn das führte nur dazu, dass Eva Lotta Mitleid bekam und sich auf seine Seite stellte, was er sehr genoss. Die drei Freunde waren unzertrennlich, aber das Band zwischen Golly und Eva Lotta war noch etwas dicker.
    “Lass ihn, er hänselt dich auch nicht dafür, dass du so ein Handtuch bist. Ohne Golly hätten wir die dicken Äste niemals hier heraufbekommen.” Das Baumhaus war fast fertig. Fast den ganzen Sommer hatten sie daran gebaut. Die drei saßen in fast fünf Metern Höhe in einer großen Eiche. Eva Lotta hatte es mit vielen frischen Ästen, an denen das Laub noch grün war, verkleidet und es war vom Boden aus nicht zu erkennen. Es war ihr Geheimversteck. Hier konnten sie sich ungestört treffen. Eva Lotta lebte bei ihrer Pflegefamilie. Über ihre leiblichen Eltern wusste sie nichts. Und ihr Stiefvater erzog sie streng. So streng, dass ihr manchmal nur die Flucht in den Wald, in ihr Baumhaus, blieb. Golly war der einzige Sohn seiner Eltern, die ihn mit viel Liebe erzogen. Doch da seine Auffassungsgabe nicht die schnellste war, setzte er sich oft dem Spott der anderen Dorfkinder aus. Noch war er erst neun. Später würde er sich dank seiner Größe mit Leichtigkeit wehren können, aber noch musste er die größeren Kinder meiden und flüchtete ebenfalls oft in den Wald.
    “Jetzt müsstest du es aber auch sehen. Hinter der Wildsau läuft ein Mensch. Oh, ist der hager. Er hat einen Bogen in der Hand.”
    “Stimmt. Und es ist kein Jäger des Königs. Er ist allein, seine Kleidung ist einfach. Oh nein, das darf er nicht.” Eva Lotta schlug die Hand vor den Mund. Im Wald des Königs ein Tier zu schießen war Wilderei, darauf stand eine schwere Strafe.
    “Und trotzdem wird es immer wieder gemacht. Das Fleisch ist so wertvoll wie ein halbes Jahr Arbeit auf dem Feld. Es ist einfach zu verlockend.” Eva Lotta wusste das auch, aber sie hatte die Geschichten von den armen Unglücklichen noch im Ohr, die bei der Wilderei im Forst des Königs erwischt worden waren. Sie wurden durch das Dorf getrieben und zur Abschreckung vor den Augen der anderen Bewohner schwer bestraft. Man stieß sie in den Misthaufen, stellte sie dann den ganzen Tag, in beißender Sonne, auf dem Dorfplatz aus und schließlich landeten sie im muffigen Burgverließ, wenn ihnen nichts Schlimmeres geschah. Ihre Familien sahen sie jedenfalls nie wieder.
    Rangard hatte nicht nur hervorragende Augen, er verfügte auch über eine exzellente Beobachtungsgabe.
    “Es gibt im Dorf nur einen, der so läuft. So dürr, leicht gebeugt, das muss der Forkner sein.” Jeder im Dorf kannte den Forkner, denn er hatte sieben Kinder, mehr als jeder andere. Seine Frau war liebreizend und zu
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