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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
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aufbauen.
    Aber wenn ich meine Mom verlor, würde das alles in sich zusammenbrechen. Das spürte ich ganz deutlich.
    Ich ging ins Schlafzimmer und holte die Tablettendose mit den Stilnox. Zwei Pillen, ein Glas Wasser, und siehe da: Es war acht Uhr morgens!
    Beim Aufwachen fühlte ich mich ganz normal, wusste nur noch, dass ich wegen irgendetwas aufgewühlt gewesen war … warum eigentlich? Dann kehrte die Erinnerung zurück und erwischte mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Wieder griff ich nach der Tablettendose und schüttete sie aus, um die Pillen zu zählen.
    Vielleicht sollte ich einfach im Bett bleiben? Angeblich hielt Elvis Diät, indem er Schlaftabletten nahm, um nicht aufstehen und essen zu müssen. Wie lange das wohl bei mir funktionieren würde? Nur weil ich sieben Kilo verloren hatte, war ich ja noch lange nicht dünn. Solange ich genug Wasser zu den Tabletten trank, konnte ich bestimmt eine Woche lang von meinen Fettreserven zehren. Dann wäre ich sozusagen Dornröschen, zumindest bis zur Zwangsräumung.
    Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte ich gestern ganz nebenbei meinen Job gekündigt. Dafür war es allerdings noch nicht zu spät, ich konnte schließlich immer noch anrufen und die »Habe-gerade-erfahren-dass-meine-Mutter-Krebs-hat«-Ausrede anbringen. Meine Kollegen dort waren eigentlich ganz nett, auch wenn die Arbeit selbst öde war. Doch dann stellte ich mir vor, wie ich heute Abend wieder dorthin ging. In der kleinen Videokabine saß, den Leuten beim Schnarchen zuhörte und über meine Mom nachdachte. Ganz allein. Das war bestimmt nicht gut für mich. Noch ungesünder als ein paar Tage und Nächte mit Stilnox zu verbringen.
    Ich setzte mich auf und griff nach dem Laptop.
    Bei den Jobbörsen im Internet wurden tonnenweise Pflegejobs angeboten, allerdings verlangten die meisten jene Art von Berufserfahrung, die ich nicht hatte. Trotzdem schickte ich wahllos meinen Lebenslauf herum, einfach um etwas zu tun zu haben. Und dann fing ich an zu putzen. Diese Wohnung war größer als meine alte, allerdings auch schäbiger, sodass ich nach dem Umzug ungefähr die gleiche Miete zahlte. Auf den Holzböden hatten sich Minnies Haare zu kleinen Ballen gesammelt, die jetzt im Wohnzimmer in den Ecken lagerten. Sie alle loszuwerden schien mir plötzlich unglaublich wichtig zu sein, also machte ich mich fleißig an die Arbeit.
    Alles, nur nicht tatenlos rumsitzen. Bloß nicht nachdenken.
    Ich war gerade auf der Jagd nach dem letzten Haarball, als mein Handy klingelte. Mit staubverklebtem Gesicht ging ich ran. »Hallo?«
    Es war eine der Kliniken, an die ich meinen Lebenslauf geschickt hatte. Eine Stimme mit leichtem Akzent fragte, ob sie mir zunächst ein paar Fragen stellen dürfe.
    »Klar doch.« Schnell klappte ich den Laptop auf und fuhr ihn wieder hoch, damit ich während des Interviews notfalls improvisieren konnte. »Ja, ich habe zwei Jahre Klinikerfahrung. Nein, Spanisch spreche ich nicht.« Wenn sie so leicht widerlegt werden kann, lohnt sich eine Lüge nicht. »Wo sitzen Sie denn?«, fragte ich, um mir etwas Zeit zu verschaffen. Sie nannte mir eine Adresse, die ich sofort in die Suchmaschine eingab. Auf dem Bildschirm erschien zunächst eine Karte, dann konnte ich dank Streetview einen Blick auf die Fassade der Divisadero-Klinik werfen; offenbar ein öffentliches Gesundheitszentrum. Sofort fiel mir das große Wandgemälde von Santa Muerte ins Auge, das zusammen mit drei Kreuzen und einer dramatisch umrandeten, großen Siebzehn plus einer Sieben das Gebäude schmückte. Während ich staunend vor dem Laptop hing, fing die Frau am Telefon inzwischen an, höfliche Entschuldigungen vorzubringen, um mich abzuwürgen.
    »Nein, warten Sie, bitte. Ich würde wirklich gern bei Ihnen arbeiten. Das öffentliche Gesundheitswesen lag mir schon immer am Herzen.« Okay, das war weder meinem Lebenslauf noch meiner bisherigen Berufserfahrung zu entnehmen, aber schaden konnte dieses Bekenntnis nicht. Ich verkleinerte nebenbei die Karte, um mir anzusehen, wie weit im Süden das Divisadero lag, woraus sich schließen ließ, wie viel weniger ich dort verdienen würde – und dass sich dort bestimmt nicht besonders viele qualifizierte Krankenschwestern bewarben. Nach einem kurzen Blick auf die Karte wechselte ich noch mal auf Streetview. Dieses Wandgemälde war einfach riesig, und die ausgestreckte Skeletthand schien mich förmlich heranzuwinken. »Ich könnte heute noch zum Vorstellungsgespräch kommen.« Mit beiden
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