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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
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Händen drückte ich mir die Daumen. Bitte, lass mich nur dieses eine Mal das bekommen, was ich will.
    Die Frau seufzte hörbar, nannte mir dann aber einen Termin in zwei Stunden.
    »Vielen Dank! Öffentliche Verkehrsmittel? Brauch ich nicht, ich habe ein Auto … na ja, wenn Sie meinen. Okay, dann bis später.«
    Ich legte auf und blieb kurz sitzen, um das alles zu durchdenken: Ich war voller Staub und Katzenhaare und es außerdem nicht gewöhnt, tagsüber wach zu sein – und hatte gerade angeboten, in zwei Stunden zu einem Vorstellungsgespräch zu kommen. Doch es war keine schlechte Idee. Das Wandgemälde auf dem Bild schien bereits lebloser zu sein als noch vor einer Minute – jetzt, wo ich mir keine wilden Dinge mehr einredete, schien die Skeletthand auch eher die Straße entlangzuzeigen und nicht in meine Richtung. Aber trotzdem. Ich konnte den Job immer noch ablehnen; ich würde es darauf ankommen lassen müssen. Und zwei Stunden reichten aus für eine Dusche und einen Becher Kaffee.
    Nach dem Duschen föhnte ich meine Haare und zog einen kurz über dem Knie endenden Rock sowie ein blusenartiges Top an, das den sommerlichen Temperaturen entsprach – und statt einer Einladung, mich zu überfallen, hoffentlich auch genug Vorstellungsgespräch-Flair ausstrahlte. Dann ging ich in der Vormittagssonne zur Hochbahn. Heute würde es wieder genauso schwülwarm werden wie an jedem anderen Tag in diesem Sommer; die Sonne saß der Stadt im Nacken wie ein Stalker.
    Obwohl ich mir eigentlich ziemlich sicher war, dass niemand einen Chevy aus dem letzten Jahrhundert stehlen würde, wunderte ich mich nicht, dass die Frau am Telefon mir geraten hatte, mein Auto stehen zu lassen und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu kommen. Schließlich lag die Divisadero-Klinik tief in einem Stadtteil, den ich als ziemlich übles Viertel abgespeichert hatte.
    Die Bahn schlängelte sich ewig über die Hochgleise. Bei der fünften und sechsten Haltestelle wechselten die Insassen meines Wagens dann einmal komplett durch, abgesehen von mir. An der sechsten Haltestelle stieg ich dann allein aus.
    Es gab kein Bahnhofsgebäude, und direkt im Schatten der Bahnsteige befand sich eine Art Freiluftmarkt. Es gab Stände mit aufgehäuftem Obst oder straff gespannten Seilen, an denen verschiedene Kleidungsstücke hingen. Ein fahrbarer Grill stand herum, auf dem etwas brutzelte, das wirklich lecker roch. Ich ging die Treppe hinunter.
    Im Schatten des Bahnsteigs war die Temperatur angenehm, und vielleicht kühlte auch der Fahrtwind der Züge sie ein wenig herunter. Einige Frauen zerrten kleine Kinder hinter sich her. Der Qualm von dem Grill hing in der Luft, und ich hustete nervös: Alle um mich herum sprachen Spanisch.
    Die Leute sahen mich an, registrierten meine Anwesenheit und die Tatsache, dass sie mich nicht kannten, und blickten wieder weg. Gefährlich schien es hier nicht zu sein, aber ich fühlte mich wie ein Außenseiter. Ich sah mich um, versuchte aber, niemandem zu lange den Rücken zuzudrehen. Nach so langer Zeit der Paranoia würde ich nicht einfach so in meiner Wachsamkeit nachlassen. Ich hatte mir die Karte gut eingeprägt, und laut ihr müsste die Klinik zwei Blocks weiter liegen. Also trat ich auf den Bürgersteig hinaus, lauschte dabei aber immer auf Schritte hinter mir.
    An der Straße lagen vor allem heruntergekommene Geschäfte. Einige waren weiß getüncht, um die Graffiti zu übermalen, andere waren türkis oder rosa gestrichen. Es standen auch ein paar Autos herum, und vor keinem von ihnen hätte mein Chevy sich schämen müssen. Die Straße selbst konnte man allerdings kaum als solche bezeichnen, sie bestand fast nur aus Schlaglöchern und Kiesflecken. Der Bürgersteig sah nicht viel besser aus.
    Ich blickte über die Schulter zurück. Wer hätte gedacht, dass es hier eine vollkommen andere Welt gab, die ich noch nie betreten oder auch nur aus der Ferne gesehen hatte? Das war wie mit Europa: Natürlich wusste man, dass es existierte, aber zu sehen bekam man es doch nur im Fernsehen.
    Oder wie mit Krebs.
    Neben mir hielt ein Auto, und die Musik im Fahrzeug wurde leiser gedreht. Sofort drückte ich meine Handtasche etwas fester an den Körper.
    »Brauchen Sie ’ne Mitfahrgelegenheit, Lady?«, fragte der Fahrer. Zunächst wollte ich ihn ignorieren. Natürlich wollte ich nicht zu den Menschen gehören, die nur Schlechtes von anderen denken, aber ich wollte auch nicht als trauriges Beispiel enden, von dem Frauen sich in finsteren
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