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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin
Autoren: J Taschler
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erzählte? Ich verbrannte damit alle Bücher und Textilien, die ich in Schuroth fand.
    Nach diesem Lagerfeuer bestellte ich die Handwerker einer Sanierungsfirma zu mir und ging mit ihnen den gesamten Renovierungsplan durch und kurz darauf ging es bereits los mit der Arbeit. Und nach ein paar Tagen, es war der 14. Oktober, ich weiß es noch genau, spuckte das Haus, das mir bisher das Gefühl gegeben hatte, mich in hohem Bogen ausspucken zu wollen – vielleicht auch als Rache, weil ich es mein ganzes Leben lang gehasst hatte –, zwei Dinge für mich aus und das innerhalb derselben Stunde. Die Arbeiter fanden in der ehemaligen Schusterei beim Durchbrechen einer Mauer ein Metallkästchen, das eingemauert gewesen war, und brachten es mir; einige Minuten zuvor hatte ich beim Ausräumen eines der Gästezimmer in einem Nachtkästchen einen Zettel gefunden, auf den Du etwas bei unserem ersten Besuch in Schuroth geschrieben hattest, der Zettel war zwischen der Schublade und der hinteren Wand des Nachtkästchens gesteckt und deshalb nie entdeckt worden. Ich begann die Zeilen zu lesen just in dem Moment, als im Türrahmen ein junger Arbeiter mir das verstaubte Metallkästchen entgegenhielt und dazu sagte: »War in der Mauer drin.« Ich nahm es ihm ab und hielt also in der rechten Hand den Zettel, voll beschrieben mit Deiner schönen, regelmäßigen Handschrift, und in der linken dieses verstaubte, schmutzige Metallkästchen. Ich legte den Zettel weg und versuchte es zu öffnen, da es sich nicht öffnen ließ, musste ich es mit Gewalt aufbrechen, und als es offen vor mir stand, fand ich eine Menge alter Briefe darin, es waren – in geöffneten Kuverts steckende – Briefe einer gewissen Dorothy O’Flaherty, wohnhaft in Milwaukee, Burnham Park, die sie an meinen Großvater in der Zeit von Dezember 1918 bis Herbst 1924 geschrieben hatte.
    Ich faltete den Zettel mit Deinem Text, steckte ihn in das Kästchen, ging damit hinaus in den Garten und setzte mich in den alten Schaukelstuhl meines Großvaters, der inmitten all der alten Möbel stand, die entsorgt werden sollten, der ganze Garten war voll mit den Möbeln meiner Mutter und meiner Großeltern, zwischen denen ich groß geworden war.
    In der warmen Oktobersonne las ich die Briefe der jungen Dorothy an Richard Sand, meinen Großvater, die alle mit »My dearest Richard!« begannen, und ganz zum Schluss las ich noch Deinen Text.
    In einigen Kuverts befanden sich auch Fotos, Fotos von einer wunderschönen Frau mit symmetrischen Gesichtszügen, in der Mitte gescheiteltem, dickem, schwarzem Haar, das ihr bis zur Taille reichte, sinnlichen Lippen, stolzen, mandelförmigen, dunklen Augen; auf manchen Fotos ist sie alleine abgebildet, auf einem Foto ist sie im Kreis ihrer Familie zu sehen, ihr Vater sitzt auf einem Stuhl und sie und ihre drei jüngeren Schwestern, denen der Schalk nur so aus den Augen blitzt, stehen hinter ihm. Auf einem Foto sitzt sie mit meinem jungen Großvater am Ufer des Lake Michigan, er hat seinen Arm um ihre Schultern gelegt und drückt sie gerade an sich, ihre beiden Gesichter sind sich ganz nahe, er hat sie sicherlich kurz bevor er wieder nach vorne zum Fotografen schaute geküsst, beide strahlen sie und wirken so wahnsinnig verliebt und glücklich. Auf die Rückseite dieses Fotos schrieb sie (natürlich auf Englisch): Ich sende Dir dieses Foto, damit Du unsere schöne, gemeinsame Zeit nicht vergisst – auch wenn die Zukunft etwas anderes bringt, als ich mir wünschen würde.
    In den Briefen beschrieb sie ihren Alltag, sie erzählte ihm, was sie während der Woche im Schuhgeschäft ihres Vaters erlebte, was sie an den Wochenenden mit der Familie und mit Freundinnen unternahm, diese Beschreibungen waren immer so voller Humor, ich musste beim Lesen oft herzlich lachen, im letzten Absatz schrieb sie jedes Mal, dass sie ihn liebe und vermisse und sich sehr auf seine Rückkehr freue, ich konnte tatsächlich meine Tränen nicht zurückhalten, als ich den Satz las: Ich freue mich auf den Augenblick, in dem ich Dich wieder umarmen und in Dein geliebtes Gesicht schauen kann, ich sehne ihn mit aller Kraft herbei. Diese Zeilen im letzten Absatz jedoch klangen nie flehentlich bittend oder fordernd, sie schrieb kein einziges Mal, dass sie verzweifelt auf ihn warte, sie fragte ihn nie, wann er denn wiederkommen würde, sie waren wunderbar poetisch und voller Liebe.
    Ich hatte meinen Großvater als sehr wortkargen, verschlossenen Menschen kennengelernt, der stundenlang
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