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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin
Autoren: J Taschler
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Workshopteilnehmer/innen wurden gesammelt und gegenwärtig ist eine fünfköpfige Jury (bestehend aus fünf Autor/inn/en, die beim Projekt beteiligt waren) dabei, die besten davon auszuwählen. Sie werden in einem Buch erscheinen und im Herbst vorgestellt. Der Termin wird noch bekannt gegeben.
    Wir wünschen Ihnen allen erholsame Ferien und einen motivierten Start im September!
    Herzlich,
Mag. Anita Tanzer

EIN AUSZUG AUS DEM BUCH »DAS SIND WIR!«
HERAUSGEBER: KULTURSERVICE DES LANDES TIROL
    Unsere Deutschlehrerin
    Unsere Deutschlehrerin hieß Mathilda Kaminski. Sie unterrichtete uns fünf Jahre lang in Deutsch und außerdem war sie unser Klassenvorstand. Sie war eine gute Lehrerin, die immer ein offenes Ohr für uns und unsere Probleme hatte. Ihr Unterricht war abwechslungsreich und nie langweilig. Wir lasen viel und diskutierten über die Bücher, wir gingen ins Theater, machten Rollenspiele. In der Unterstufe, wenn wir Rechtschreib- und Grammatikthemen durchmachten, bereitete sie aufwendige Freiarbeiten vor, weil wir offenes Lernen gerne mochten. Sie gestaltete jedes Jahr eine Lyrikwerkstatt für uns und unsere verfassten Gedichte ließ sie immer in einer Broschüre drucken und jede Schülerin bekam eine. Sie tat so viel für uns. Oft, wenn wir gemeinsam ein Buch lasen und eine Stelle lag ihr besonders auf dem Herzen, ließ sie sich vor lauter Begeisterung hinreißen und rief: »Lasst euch das doch auf der Zunge zergehen, Mädels, ist das nicht köstlich?« Jedes Mal, wenn ich ein Buch lese und es mir gefällt, muss ich an dieses »Ist das nicht köstlich?« von Frau Kaminski denken. Sie war immer flott gekleidet und dezent geschminkt, was uns Mädels sehr gefiel. Man schätzte sie wirklich zehn Jahre jünger. Sie war immer gut drauf, ihre fröhliche und positive Art riss uns mit. Alles war nur noch halb so schlimm, nachdem man es mit ihr besprochen hatte.
    Im letzten Winter bekamen wir mit, dass es Frau Kaminski nicht gut ging, sie wurde immer dünner und blieb manchmal zu Hause. Vorher war sie kaum einmal im Krankenstand gewesen, deshalb wunderten wir uns darüber. Wir fragten sie auch und sie antwortete, dass es mit ihrer Gesundheit zu tun habe, aber mehr sagte sie nicht. Wir wussten nicht, dass sie an Krebs erkrankt war und nicht mehr lange zu leben hatte.
    Anfang März fand an unserer Schule ein Schreibworkshop statt, den ein bekannter Jugendbuchautor leitete. Insgesamt dreißig Schülerinnen von der Oberstufe nahmen daran teil, von unserer Klasse waren es mit mir fünf, die sich dafür angemeldet hatten. Der Schriftsteller hieß Xaver Sand. Ich kannte seine Bücher Engelsflügel, Engelskind und Engelsblut , weil uns Frau Kaminski in der dritten Klasse einmal davon erzählt hatte. Daraufhin hatte ich sie mir in der Stadtbücherei ausgeliehen und gelesen. Sie gefielen mir sehr gut.
    Dieser Schriftsteller war wie Frau Kaminski vierundfünfzig Jahre alt. Von Anfang an spürte ich, dass da irgendetwas zwischen den beiden war oder noch immer ist. Ich spürte eine prickelnde Spannung zwischen den beiden. Es war die Art, wie sie sich ansahen und miteinander umgingen, es wirkte irgendwie so sehnsüchtig. Mir fiel auch auf, dass sie sich ein bisschen ähnlich sahen, und meine Mutter hatte mir einmal erzählt, die Gesichtszüge von Menschen, die lange zusammenleben, würden sich immer ähnlicher. Außerdem sprachen sie gleich! Als Susanna von der Parallelklasse ihre Kurzgeschichte vorlas, sagte Herr Sand plötzlich bei einer Stelle laut: »Mein Gott, ist das köstlich!« Wir zuckten alle zusammen und schauten zu Frau Kaminski hinüber, die unsere Blicke aber nicht bemerkte, weil sie gerade Herrn Sand ansah. Mit einem besonderen Lächeln im Gesicht.
    Niemand wusste etwas Genaues über die beiden und wir wurden immer neugieriger. Wir fragten Frau Kaminski, ob sie Herrn Sand erst jetzt beim Workshop kennengelernt habe oder schon länger kenne. Sie antwortete offen, dass sie früher in Wien lange Zeit befreundet gewesen seien. Damit ging unter uns Schülerinnen die Gerüchteküche natürlich los. Wir malten uns alles Mögliche über die zwei aus.
    Der Schreibworkshop war wirklich interessant und spannend. Zum Schluss gab es eine Lesung, die Frau Kaminski organisiert hatte und zu der die Eltern eingeladen worden waren. Die Schülerinnen lasen ihre Texte vor und das Ganze wurde von Frau Kaminski und Herrn Sand moderiert, sie waren dabei echt witzig.
    Am 5. Mai starb Frau Kaminski im Krankenhaus und am 18. Mai fand das
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