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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin
Autoren: J Taschler
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buchte ein Hotelzimmer und fuhr los, das war am 23. Oktober. Zwei Tage verbrachte ich in Innsbruck, saß viel in meinem Golf und beobachtete Dich mit einem Fernglas, beim Verlassen Deines Hauses, beim Betreten der Schule, beim Spazierengehen mit Deiner Freundin und getraute mich nicht, Dich anzusprechen beziehungsweise an Deiner Haustür zu läuten – ich weiß, ich bin ein Feigling! –, aber Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich schämte. Ich strich also um Dein Haus und um Deine Schule herum, wohin ich Dir mit dem Auto folgte (ganz so wie der alte Richard in dem Schluss, den Du für meine Geschichte erzähltest), und wusste nicht, wie ich es einfädeln sollte, mit Dir zu reden und Zeit zu verbringen, ich sehnte mit aller Kraft herbei, Dir gegenüberzustehen und Dich in die Arme zu nehmen, mit Dir ein Glas Wein zu trinken, gemeinsam zu kochen wie in alten Zeiten, Dir Geschichten zu erzählen und welche von Dir zu hören, mit Dir zu reden und zu lachen. Doch ich fand den Mut nicht, Dich anzusprechen, was hätte ich Dir sagen sollen, dass ich zufällig vor Deinem Haus oder Deiner Schule Urlaub machte? Die Situation wäre unangenehm und verkorkst gewesen und das wollte ich nicht, wie ein kleiner Junge drehte ich um und fuhr nach Hause zurück.
    Als ich nach Hause kam, fand ich eine weitergeleitete E-Mail von meinem Verlag vor, in der eine Dame von der Kulturservicestelle des Landesschulrats Tirol bei mir anfragte, ob ich Interesse hätte, eine einwöchige Schreibwerkstatt an einer Höheren Schule abzuhalten – die Höheren Schulen war auf einer Liste angeführt –, und ich hielt es für einen Wink des Schicksals, dass auch das Mädchengymnasium, an dem Du unterrichtest, angeführt war. Unser Wiedersehen würde also – offiziell – auf einem Zufall beruhen und das wäre gut so. Ich telefonierte mit der Dame und sagte ihr, dass ich mich unter der Bedingung anmelden würde, dass ich diesem bestimmten Mädchengymnasium zugeteilt werde, und sie sagte mir sofort am Telefon zu, dass dies in Ordnung gehe, es wunderte mich zwar ein bisschen, dass alles so schnell, kommentarlos und unkompliziert ging, aber ich fragte nicht nach.
    Die Aussicht, Dich bald wiederzusehen und eine ganze Woche mit Dir verbringen zu dürfen, hielt mich über Wasser und ließ mich den Winter gut überstehen, ich schrieb an meinem Roman, beaufsichtigte die Handwerker, traf ab und zu Bernhard auf ein Bier.
    Ich genoss die Woche mit Dir, ich genoss Deine Nähe, ich fühlte mich wohl, geborgen und glücklich und ich bin Dir auch dankbar, dass Du mich überzeugtest, mich zu stellen, meine Erleichterung ist so groß, das jahrelange Leben mit meiner Lüge (schuldig werde ich mich zwar den Rest meines Lebens fühlen) ist endlich, endlich vorbei! Das verdanke ich Dir! So oft wollte ich mich stellen, um das Ganze zu beenden, fand aber nie den Mut, Du gabst mir die Kraft dafür.
    Mein neues Leben kann beginnen und ich wollte Dich fragen, ob Du Dir vorstellen kannst, ein Teil davon zu sein, ich würde Dich sehr gerne öfter sehen und mehr Zeit mit Dir verbringen, es würde mir viel bedeuten, Mathilda, ich liebe Dich.
    Dein Xaver

MATHILDAS BRIEF AN XAVER AM 21. SEPTEMBER 1980
    Mein lieber Xaver!
    Ich sitze unter der mächtigen Silberpappel, auf der Du als Kind herumgeklettert bist und der Du als Neunjähriger den Namen »Gabriel« gabst, nach dem Erzengel Gabriel, der in Deiner Geschichte eine wichtige Rolle spielte. Der Wind weht leicht durch Gabriels silbrige Blätter und bringt eine leise Musik hervor. Alles ist grün und ruhig hier, das Haus ist auf einer Anhöhe und man sieht unter sich nur Wiesen und Wälder, in der Ferne sieht man den kleinen Kirchturm, es ist fast kitschig, so idyllisch ist es hier.
    In ein paar Jahren (vielleicht zehn?) wird unser Sohn hier auf Gabriel herumklettern, vielleicht auch einmal herunterfallen und weinend zu dir, mir oder seiner Großmutter laufen, um getröstet zu werden. Der Junge heißt Julius oder Julian und sieht eindeutig mir ähnlich. Seine Schwester, die Carolina oder Eleonore heißt, ist ganz der Papa, sie hat Deine Wangengrübchen, Deine dichten, dunklen Locken und grünen Augen geerbt. Sie ist die Aufgewecktere von den beiden, wohingegen Julius/Julian der Besonnene und Ernsthafte ist. Er will einmal Schriftsteller werden wie sein Vater. Das Mädchen will, und das redete ihm die Großmutter ein, ein großes Schuhgeschäft eröffnen, die Schuhe dafür will es selber entwerfen. Jeden Abend stöckelt die
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