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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin
Autoren: J Taschler
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äußerst problematisch gewesen, vor Ihrer Frau und in der Öffentlichkeit der Ehebrecher zu sein, noch dazu in einem Moment, in dem das Kind unbeaufsichtigt ist und ausgerechnet dann entführt wird. Oder?
    X. S.: Ich glaube bis heute nicht an Entführung. Aber zuerst möchte ich Ihre Frage beantworten: Natürlich kam es mir gelegen, dass Liv mich so sehr anflehte, nicht die Wahrheit zu sagen! Aber mir ging es derartig dreckig, das kann sich niemand vorstellen! Am liebsten hätte ich allen die Wahrheit ins Gesicht geschrien, nur um von diesen Schuldgefühlen befreit zu sein. Ich war in der Öffentlichkeit der arme, leidende Vater und meine Bücher wurden monatelang noch besser verkauft. Furchtbar eigentlich, nicht wahr? Was Denise von mir dachte, war mir eigentlich egal, ich hätte kein Problem gehabt, vor ihr der Ehebrecher zu sein. Unsere Ehe ging mehr als schlecht, seitdem ich wusste, dass sie mir Jakob bewusst untergeschoben hatte, um von ihrem zweiten Ehemann, diesem gewalttätigen Rennfahrer, wegzukommen. Aber Liv beschwor mich immer wieder, wenn wir es schafften, mal ein paar Sekunden alleine zu sein, dass ich bei der Version bleiben müsse. Ich müsse sie schützen, das sei ich ihr schuldig.
    J. Z.: Warum glauben Sie bis heute nicht an Entführung? Was ist Ihrer Meinung nach passiert?
    X. S.: Ich glaube an einen Unfall.
    J. Z.: Bei jedem Unfall gibt es eine Leiche.
    X. S.: Bei Unfällen mit Biogasanlagen gibt es keine Leiche. In einer Biogasanlage wird durch Vergärung von Biomasse Biogas erzeugt. Oder anders ausgedrückt: Biogas entsteht als Stoffwechselprodukt von Methanbakterien bei der Zersetzung organischer Stoffe unter Ausschluss von Sauerstoff. In einer Biogasanlage stirbt man innerhalb einiger Sekunden, weil man vergast wird, man hat gar keine Chance, man würde nicht einmal etwas spüren. Es wäre ein sehr schneller Tod. Und dann bleibt absolut nichts von einem übrig, nicht einmal Zähne oder Knochen. Von einer Kinderleiche würde auch nichts übrig bleiben. Ich glaube, dass Jakob in die Biogasanlage gestürzt ist.
    J. Z.: Sie glauben oder Sie wissen es?
    X. S.: Natürlich kann ich es nicht mit Gewissheit sagen! Vielleicht kam eine Verrückte in den Garten und nahm den Kleinen mit, weil sie ihr Kind vor Kurzem verloren hatte oder weil sie sich unbedingt eines wünschte oder was weiß ich! Natürlich könnte das die Wahrheit sein und Jakob lebt irgendwo da draußen und wir können nur hoffen, dass es ihm halbwegs gut geht. Wir werden es nie genau wissen! Aber ich glaube es einfach nicht!! Ich glaube es wirklich nicht! Ich glaube, dass er in den Einspülschacht der Biogasanlage gestürzt ist. Ich vergaß am Vormittag … ich … kann ich ein Glas Wasser haben?
    J. Z.: Beruhigen Sie sich.
    X. S.: Danke. – Am Vormittag ging ich mit Jakob zur Biogasanlage, weil Bruno den Tag frei hatte und ich die Grassilage einfüllen musste.
    J. Z.: Können Sie das Aussehen einer Biogasanlage genauer beschreiben?
    X. S.: Es ist ein großer Betonbehälter, oben abgedeckt mit einem Betonboden. Bei uns auf dem Hof befand er sich hinter dem Stall. An dem Betonbehälter ist der sogenannte Einspülschacht angebracht, es ist ein Nirostaschacht, ein Rohr, mit einem Durchmesser von circa vierzig Zentimetern, die Schachtöffnung ist auf der gleichen Höhe wie der Betonboden. In diesen Schacht werden einmal täglich die Abfälle gefüllt, wie zum Beispiel Grassilage oder Maissilage. Auf Jakob übte die Biogasanlage eine große Faszination aus, er wollte immer mit mir mitgehen und an diesem Vormittag nahm ich ihn auch mit. Er sah ganz interessiert zu und war eigentlich ziemlich brav. Aber dann stach ihn eine Biene und er brüllte wie am Spieß. Weil er allergisch auf Bienenstiche war, lief ich sofort mit ihm ins Haus und vergaß den Einspülschacht wieder abzudecken.
    J. Z.: Womit?
    X. S.: Mit einem Brett und einem schweren Sandsack. Später vergaß ich komplett darauf. – Ich … ich …
    J. Z.: Möchten Sie eine Pause machen?
    X. S.: Nein, ich möchte es endlich fertig erzählen. – Nachdem ich die Polizei angerufen hatte, suchten Liv und ich noch weiter nach Jakob. Mittlerweile war schon eine Stunde seit seinem Verschwinden vergangen. Dann entdeckte ich den offenen Einspülschacht und mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Ich wäre in dem Moment fast ohnmächtig geworden. Irgendwie wusste ich sofort, dass er hineingefallen sein musste.
    J. Z.: Woher wussten Sie es? Haben Sie nachgesehen?
    X. S.: Nein, natürlich nicht! Da
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