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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben
Autoren: Wilhelm Schmid
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Vorwort
    Ein paar Schritte nur, der Tag war anstrengend. Tausend Dinge gehen mir noch durch den Kopf, ich kann mich jetzt nicht einfach ins Bett legen. Nicht weit von meiner Wohnung strecke ich mich auf einer Wiese aus, in der grünen Stadt Berlin ist das möglich. Die vielen Lichter trüben den Blick in den Nachthimmel, und doch ist es dieser Blick, der mich beruhigt. Schon als kleiner Junge habe ich ihn geliebt, als mein Vater mir die Sterne zeigte, den Großen Wagen beispielsweise, der immer dort oben steht, als wäre er unverrückbar, obwohl jeder einzelne Stern mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf seiner eigenen Bahn durch die endlose Weite rast. Wer bin ich angesichts dieser Dimensionen? Wer sind wir Menschen?
    Wir leben auf einem Planeten, der uns als große, weite Welt erscheint, aber aus der Perspektive der Sterne ist er nur ein verschwindend kleiner Punkt in der unendlichen Schwärze des Alls, wir selbst sind völlig unsichtbar. Das Leben, das jeder Einzelne in dieser Welt, auf der Erde, in diesem Land, an diesem Ort, in seinem persönlichen Alltag lebt, ist für den Gang der Sterne belanglos. Was ist der Sinn unserer Existenz?
    Unter den eigenartigen Wesen, die die Evolution auf dem Planeten Erde im Laufe langer Zeiten hervorgebracht hat, erscheint dieses als das eigenartigste: Der Mensch ist ein Wesen, das darüber nachdenkt, was ein Mensch ist , kein anderes Wesen macht so etwas. Endgültige Resultate liegen nicht vor, aber provisorische Auffassungen sind möglich: Ein Mensch ist ein Körper mit all seiner Sinnlichkeit, eine Seele mit gefühlten Energien, ein Geist mit einigem Reichtum an Gedanken.Eine Frage ist stets von Neuem, ob und wie Körper, Seele und Geist zu unterscheiden sind, wann genau das Menschsein beginnt, wann es endet. Nicht jeder Mensch ist fähig zur Reflexion und Selbstreflexion, vielmehr sind Ungeborene, Demente und Menschen mit geistiger Behinderung dazu eingeschränkt oder nur potenziell in der Lage. Aber jeder muss mit sich und seinem Leben irgendwie zurechtkommen, kein Anderer kann ihm dies abnehmen. Jeder lebt auf irgendeine Weise mit Anderen, und sei es auf Distanz, und muss auch diese Herausforderung meistern. Jeder ist in soziale und ökologische Zusammenhänge eingebunden, die er nicht beliebig verändern kann, darüber hinaus in eine kosmische und vielleicht transzendente Welt, die er nicht wirklich durchschaut.
    Schon der Blick in die Sterne, den Menschen in allen Kulturen und zu allen Zeiten pflegen, lässt darauf schließen, dass es sie fasziniert, über das hinauszublicken, was vor ihren Füßen liegt, um sich in einem größeren Horizont wahrzunehmen. Es interessiert sie, immer wieder ihre momentane Wirklichkeit zu überschreiten ( transcendere im Lateinischen) und ins Offene zu gelangen; seit ihren urzeitlichen Anfängen scheint ihnen das eigen zu sein: In diesem Sinne ist der Mensch von Grund auf ein transzendentes Wesen , jeder einzelne, unabhängig davon, ob er sich in irgendeiner Weise als religiös versteht. Transzendent ist sein Blick, sein Glaube, sein Traum, seine Sehnsucht, seine Hoffnung, seine Vision und Utopie, sogar noch seine Melancholie, dieser diffuse Schmerz über die Begrenztheit des Lebens auf diesem Planeten. Transzendent ist sein Bestreben, Wissen über alle möglichen Zusammenhänge zu gewinnen und sich anstelle ihres Soseins ein Anderssein im Denken vorzustellen, nie nur Wirklichkeit, immer auch Möglichkeiten zu sehen und auf ihre Verwirklichung hinzuarbeiten.
    Der Mensch ist überhaupt, so lässt sich sagen, ein Wesen der Möglichkeiten . Mit ihm als Gattung und mit jedem Einzelnen wird eine Möglichkeit des Lebens wirklich. Jeder kann für sich selbst weitere Möglichkeiten finden, erfinden und erproben, und wo er nicht weiterweiß, kann er Versuche anstellen und Experimente wagen. Die gesamte Existenz des Menschen lässt sich als Experiment verstehen, das die Evolution anstellt und das jeder Einzelne noch forcieren kann: »Wir sind Experimente«, meinte schon Nietzsche ( Morgenröthe , 1881, 453), »wollen wir es auch sein!« Und welches Experiment bin ich, welches will ich sein? Welche Möglichkeit ist meine eigene, mit der ich zur Welt gekommen bin? Welche Möglichkeiten kann ich selbst entdecken und erkunden? Wie kann ich werden, was ich sein kann?
    Gleichförmigkeit ist jedenfalls kein Beitrag zur Evolution. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass der Mensch auch das Wesen ist, das Probleme macht, um sich an ihrer Lösung zu
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