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Deutschland allein zu Haus

Deutschland allein zu Haus

Titel: Deutschland allein zu Haus
Autoren: Osman Engin
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Trauergesteck.
    Ich ziehe, er zieht!
    Ich ziehe, er zieht!
    »Lassen Sie doch endlich mein Gesteck los! Ich will weg! Das ist nicht mein Tod«, rufe ich genervt.
    »Es wird aber gleich ihr Tod sein, wenn Sie weiterhin versuchen, mein Gesteck zu klauen«, brüllt der dicke Kerl und versucht, mir das schöne Stück aus den Händen zu reißen.
    »Wir haben dieses Gesteck für Oma Fischkopf gebastelt und nicht für diesen Halbstarken«, röchele ich völlig außer Atem und ziehe kräftig weiter.
    »Mann, sind Sie blind oder tun Sie nur so? Lesen Sie doch mal, was auf dem Kranz steht«, schimpft der Mann erneut mit mir. »Für unseren tapferen Kameraden Harry Breitschuh. Die gesamte deutsche Nation ist stolz auf Dich!«
    »Oh, wir bitten um Verzeihung«, ruft Eminanim schnell an meiner Stelle und zischt leise: »Osman, sag du auch mal was, du Tölpel!«
    Reumütig stehe ich vorne auf der Bühne, schaue in den stockdunklen Raum und stottere los:
    »Liebe Zuhörerinnen und liebe Zuhörer, es tut mir wirklich sehr leid! Aber ich kann nichts dafür, der Gedanke an Tod und Jenseits bringt mich immer aus der Fassung! Und die schrecklichen Ereignisse der letzten Tage gingen mir wohl doch ein wenig an die Nerven, obwohl ich kuul darüberstehen wollte. Das Tragische ist, wenn ich traurig bin und mir große Sorgen mache, dann schlägt das bei mir sofort auf das Immunsystem. Wie Sie ja selbst wissen, die letzten Monate waren nicht gerade ein Pappenstiel.
    Was ich sagen will, ist, dass ich ein unverbesserlicher und staatlich anerkannter Hypochonder bin! Deshalb musste ich mein ganzes Leben bei Ärzten und Psychologen verbringen. Und nicht wenige dieser Experten sind felsenfest überzeugt, dass Rassismus (Na toll, wie komme ich denn jetzt darauf?), dass Rassismus ein Ausdruck von, ehm … wie soll ich sagen, ja, dass Rassismus eine Art Minderwertigkeitskomplex sei und dementsprechend behandelt werden muss.
    Liebe Zuhörerinnen und liebe Zuhörer, ich verstehe die Rassisten ja voll und ganz (Bei Allah, wie ich mich kenne, werde ich mich jetzt bestimmt noch tiefer in die Scheiße reiten! Ich hoffe nur, dass mir 100 Gandhis gegenübersitzen!). Als Nazi denkt man zuerst wahrscheinlich nichts Böses und ist einfach nur mächtig stolz drauf, dass man dem Herrenvolk angehört. (Klasse! Es wird immer schöner!) Aber nach ein paar Jahren oder Jahrzehnten nervt es einen natürlich schon ganz gewaltig, dass man, obwohl man so ein toller Nazi geworden ist, dass man trotzdem ständig zum Arbeitsamt latschen und sich von den selbstherrlichen Idioten dort elendig lange Vorträge anhören muss, nur um eine mickrige monatliche Stütze zu bekommen, die nicht mal ein paar Wochen die Alkoholkosten deckt. (Na toll, was gehen mich denn die monatlichen Stützen der Nazis und deren Alkoholprobleme an, verdammt???) Auf dem Weg dahin sieht man natürlich völlig erbost, dass der Türke von nebenan (Na, habe ich nicht gesagt, dass ich mich mit Sicherheit noch weiter in den Mist reiten werde?), dass der blöde Türke von nebenan einen gut gehenden Gemüseladen oder eineDönerbude hat. Oder eine Bäckerei oder ein Reisebüro oder eine Versicherungsagentur oder eine Marketingfirma oder ein Taxiunternehmen, na ja, ich möchte nicht zu weit ausholen, die Rassisten sehen ja wahrscheinlich nur den Gemüseladen und die Dönerbude, aber das reicht ja auch schon, um völlig durchzudrehen! (Ich hoffe sehr stark, dass der dicke Harry wirklich nur absolute Demokraten unter seinen Kameraden hatte.) In dem Moment realisiert natürlich sogar der Nazi, dass er in Wirklichkeit der Schnorrer ist, weil diese Leute zu allem Übel auch noch seine Stütze finanzieren …
    Liebe Zuhörerinnen und liebe Zuhörer, lassen Sie mich zum Schluss kommen. Auf jeden Fall behaupten diese Ärzte und Psychologen, die ich anfangs erwähnt habe, dass man diese Menschen in ihrem Selbstwertgefühl stärken muss, um Rassismus und demzufolge auch Faschismus aus dieser unserer Gesellschaft ein für alle Mal zu vertreiben und völlig überflüssig zu machen.«
    In dem Moment zerrt meine Frau wieder hastig an meiner Jacke:
    »Osman, hör auf, hier deine armselige Lebensgeschichte zu erzählen, verdammt! Siehst du immer noch nicht, was für finstere Typen dich da total wütend anglotzen? Du hast ein Riesenglück, dass diese ganzen Begriffsstutzigen noch nicht realisiert haben, was hier vor sich geht«, zischt sie und stürmt knallrot wie eine überreife Paprika blitzschnell nach draußen.
    Ich setze meine
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