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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch
Autoren: Julian Barnes
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das mit den Kreuzfahrern«, sagte er, während er langsam den Umhang wegzog. »Das könnte was für dich sein.«
    Gregory sah sich wiedergeboren unter dem Leichentuch auftauchen, unverändert, nur seine Ohren standen jetzt weiter ab. Er rutschte auf dem Gummikissen nach vorn. Der Kamm knallte ihm auf den Kopf, jetzt noch schmerzhafter, weil er weniger Haare hatte.
    »Nicht so stürmisch, junger Freund.« Der Haarschnei der ging gemächlich durch den ganzen lang gezogenen Salon und kam mit einem tablettartigen, ovalen Spiegel zurück. Den hielt er nach unten, um Gregory seinen Hin terkopf zu zeigen. Gregory schaute in den ersten Spiegel, in den zweiten Spiegel, und dann wieder heraus. Das war nicht sein Hinterkopf. So sah der nicht aus. Er merkte, wie er rot wurde. Er musste aufs Klo. Der Perverse zeigte ihm einen fremden Hinterkopf. Schwarze Magie. Grego ry starrte immer weiter, wurde immer röter und schaute wie gebannt auf diesen fremden Hinterkopf, glatt rasiert und wie gemeißelt, bis ihm klar wurde, dass er nie nach Hause käme, wenn er nicht das Spiel des Perversen mit spielte, darum warf er einen letzten Blick auf diesen unbe kannten Schädel, sah im Spiegel beherzt weiter nach oben zu den gleichgültigen Brillengläsern des Haarschneiders und sagte leise: »Ja.«

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2
    Der Friseur schaute mit höflicher Verachtung nach unten und fuhr Gregory probehalber mit dem Kamm durch die Haare: als wäre tief unten im Gestrüpp vielleicht noch ein längst vergessener Scheitel zu finden, wie ein Pilgerpfad aus dem Mittelalter. Nach einer resignierten Drehung des Kamms klatschte ihm ein Großteil der Haare nach vorn über die Augen und bis zum Kinn hinunter. Hinter dem jähen Vorhang dachte er, Ach, leck mich am Arsch. Er war nur hier, weil Allie ihm nicht mehr die Haare schnitt. Im Moment jedenfalls nicht. Die Erinnerung traf ihn mit voller Wucht: Er war in der Badewanne, sie wusch ihm die Haare und schnitt sie dann, während er im Wasser saß. Er zog den Stöpsel raus, und sie spritzte ihm die abgeschnittenen Haare mit der Brause ab, spielte mit dem Strahl, und wenn er dann aufstand, lutschte sie ihm oft gleich noch den Schwanz, einfach so, und zupfte ihm dabei die letzten abgeschnittenen Haare ab. Yeah.
    »Wünschen Sie eine bestimmte … Stelle … Sir?« Der Typ gab sich bei seiner Suche nach einem Scheitel scheinheilig geschlagen.
    »Einfach glatt nach hinten.« Gregory rächte sich mit einer ruckartigen Kopfbewegung, sodass die Haare über seinen Kopf zurückflogen und wieder da waren, wo sie hingehörten. Er streckte die Hand unter dem wichszeltartigen Nylonfrisiermantel hervor, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, bis sie wieder richtig lagen, und lockerte sie auf. So, wie sie waren, als er hereingekommen war.
    »Wünschen Sie eine bestimmte … Länge … Sir?«
    »Acht Zentimeter über den Kragen. Und an den Seiten bis zum Knochen, etwa hier.« Gregory zeigte die Stelle mit den Mittelfingern an.
    »Und wünschen Sie auch eine Rasur, wo wir schon dabei sind?«
    Unverschämtheit. So sieht ein gut rasierter Mann heutzutage aus. Nur Anwälte und Ingenieure und Förster tauchen jeden Morgen in ihren kleinen Kulturbeutel und fallen über die Stoppeln her wie die Calvinisten. Gregory drehte sich seitlich zum Spiegel hin und schielte zu seinem Ebenbild zurück. »Sie mag es so«, sagte er leichthin.
    »Also verheiratet, ja?«
    Pass bloß auf, du Schleimscheißer. Komm mir ja nicht so. Die Kumpeltour zieht bei mir nicht. Aber vielleicht bist du ja bloß schwul. Nicht, dass ich was dagegen hätte. Ich bin da ganz liberal.
    »Oder sparen Sie noch, um sich unter dieses Joch zu begeben?«
    Gregory würdigte ihn keiner Antwort.
    »Hab’s selbst siebenundzwanzig Jahre ertragen«, sagte der Typ und fing an zu schnippeln. »Hat seine Höhen und Tiefen wie alles andere auch.«
    Gregory grunzte etwas annähernd Aussagekräftiges, so wie beim Zahnarzt, wenn der ganze Mund voll Metallteilen war und der Mechaniker unbedingt einen Witz erzählen musste.
    »Zwei Kinder. Na, eins ist jetzt schon erwachsen. Das Mädchen ist noch zu Hause. Ehe man sich’s versieht, ist die auch ausgeflogen. Am Ende verlassen sie alle das Nest.«
    Gregory sah in den Spiegel, aber der Typ schaute ihn nicht an, er hatte den Kopf gebeugt und schnippelte drauflos. Vielleicht war er doch nicht so übel. Mal abgesehen davon, dass er ein Schwätzer war. Und natürlich psychisch hoffnungslos deformiert durch jahrzehntelange Unterwerfung unter die
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