Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch
Autoren: Julian Barnes
Vom Netzwerk:
die Luft zum Atmen, angeb lich kam sie sich vor wie mit ihm verheiratet. Lächerlich, hatte er erwidert: Er kam sich vor, als wäre er mit einer Frau zusammen, die gleichzeitig auch mit einem halben Dutzend anderer Männer ging. Genau das meine ich, hatte sie gesagt. Ich liebe dich, hatte er in jäher Verzweiflung gesagt. Es war das erste Mal, dass er das zu irgendwem sagte, und er merkte gleich, es kam nicht richtig an. So etwas sollte man sagen, wenn man sich stark fühlt, nicht schwach. Wenn du mich liebtest, würdest du mich verstehen, hatte sie erwidert. Na, dann verpiss dich doch und atme, hatte er gesagt. Es war einfach nur ein Krach, ein blöder, beschissener Krach, mehr nicht. Hatte überhaupt nichts zu bedeuten. Es bedeutete nur, dass sie jetzt nicht mehr zusammen waren.
    »Noch was ins Haar, Sir?«
    »Was?«
    »Noch was ins Haar?«
    »Nein. Man soll der Natur nicht ins Handwerk pfuschen.«
    Der Friseur seufzte, als hätte er die letzten zwanzig Minuten nichts anderes getan, als der Natur ins Handwerk zu pfuschen, und dieser nur allzu notwendige Eingriff hätte in Gregorys Fall mit einer Niederlage geendet.
    Das Wochenende stand bevor. Neuer Haarschnitt, sauberes Hemd. Zwei Partys. Heute Abend gemeinschaftliches Bierchenstemmen. Stockbesoffen werden und abwarten, was dann passiert: Das ist meine Vorstellung davon, der Natur nicht ins Handwerk zu pfuschen. Autsch . Nein. Allie. Allie, Allie, Allie. Bind mir den Arm ab. Ich biete dir meine Handgelenke dar, Allie. Die Stelle kannst du dir aussuchen. Nichtmedizinische Gründe, aber stich nur zu. Tu, was du nicht lassen kannst. Lass mein Blut fließen.
    »Was haben Sie da eben über die Ehe gesagt?«
    »Äh? Ach, das einzige Abenteuer, das auch dem Feigling offen steht.«
    »Tja, wenn Sie mir eine Bemerkung gestatten, Sir, die Ehe hat mir immer sehr gut getan. Aber Sie sind bestimmt sehr viel klüger als ich, wo Sie doch an der Universität sind.«
    »Das war ein Zitat«, sagte Gregory. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass die fragliche Autorität klüger war als wir beide zusammen.«
    »So klug, dass er nicht an Gott glaubte, nehme ich an?«
    Ja, so klug, wollte Gregory sagen, ganz genau so klug. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Nur wenn er unter Mitskeptikern war, hatte er den Mut, Gott zu leugnen.
    »Und, verzeihen Sie die Frage, Sir, war er für die Ehe geschaffen?«
    Hm. Gregory überlegte. Es hatte nie eine Madame gegeben, oder? Immer nur Mätressen, davon war er überzeugt.
    »Nein, ich glaube nicht, dass er für die Ehe geschaffen war, wie Sie das nennen.«
    »Dann war er vielleicht, Sir, kein Experte?«
    In alten Zeiten, dachte Gregory, standen die Barbiere in üblem Ruf, weil bei ihnen die Müßiggänger zusammenkamen und den neuesten Klatsch austauschten, weil ihre Kunden mit Lauten- und Gambenspiel unterhalten wurden. Das kam jetzt alles wieder, zumindest in London. Salons voller Klatschgeschichten und Musik, von Stylisten geleitet, deren Namen man in den Gesellschaftsnachrichten lesen konnte. Da liefen Mädchen in schwarzen Pullovern rum und wuschen einem erst mal die Haare. Wow. Man brauchte sich nicht mehr die Haare zu waschen, ehe man loszog, um sie schneiden zu lassen. Man kam einfach fröhlich winkend hereinspaziert und machte es sich mit einer Illustrierten bequem.
    Der Experte in Ehesachen holte einen Spiegel und zeigte Gregory eine doppelte Sicht seines Werks. Saubere Arbeit, das musste er zugeben, an den Seiten kurz, hinten lang. Nicht wie bei manchen Typen im College, die ihre Haare einfach in alle Richtungen zugleich wachsen ließen, Klobürstenbärte, altenglische Koteletten, fettige Wasser fälle über den Schultern und was sonst noch alles. Nein, man soll der Natur nur ein bisschen ins Handwerk pfu schen, das war sein wahres Motto. Der ewige Kampf zwi schen Natur und Zivilisation, der hält uns in Schwung. Obwohl das natürlich die Frage der Definition von Natur und Zivilisation offen ließ. Es ging ja nicht nur um die Entscheidung zwischen einem Leben als Tier und einem Leben als Bourgeois. Es ging … ach, um alles Mögliche. Er hatte ein jähes, schmerzhaftes Verlangen nach Allie. Lass mein Blut fließen, dann verbinde mich. Wenn er sie zurückholen könnte, würde er nicht mehr so besitzergrei fend sein. Dabei hatte er das nur als Nähe empfunden, als Zweisamkeit. Ihr hatte es zuerst auch gefallen. Zumindest hatte sie nichts dagegen gehabt.
    Er merkte, dass der Friseur immer noch den Spiegel hochhielt.
    »Ja«, sagte er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher