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Die Vergessenen Welten 16 - Die Drachen der Blutsteinlande

Titel: Die Vergessenen Welten 16 - Die Drachen der Blutsteinlande
Autoren: R.A. Salvatore
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    Vorspiel
    Ja, sie ist wirklich schön, dachte Artemis Entreri, als er die nackte Calihye beobachtete, wie sie vom Bett zum Kleiderständer ging, um ihre Hose und das Hemd zu holen. Sie bewegte sich mit der Anmut einer ausgebildeten Kriegerin, setzte mit fließenden Bewegungen einen Fuß vor den anderen, wobei ihre Ballen den Boden nur leicht berührten, was ihren Gang beinahe lautlos machte. Sie war mittelgroß und schlank, aber sie hatte Kraft, und die wenigen Narben an ihrem Körper lenkten nicht von dem hinreißenden Anblick einer festen, trainierten Muskulatur ab. Sie war ein paradoxes Geschöpf, erkannte Entreri, als er sie beobachtete, ein Wesen des Feuers und des Fließens. Sie konnte wild und wütend oder zärtlich sein, und im Bett konnte sie sich sehr wirkungsvoll zwischen beiden Extremen hin und her bewegen.
    Auf dem Schlachtfeld tat sie zweifellos das Gleiche. Calihye war nicht nur eine Kämpferin, sie war eine Kriegerin, eine Denkerin. Sie kannte ihre Stärken und Schwächen, und sie konnte ihre Feinde besser einschätzen als die meisten. Entreri war sicher, dass sie häufig ihren weiblichen Charme gegen nichts ahnende Gegner einsetzte und sie damit durcheinanderbrachte, bevor sie ihnen den Bauch aufschlitzte.
    Das brachte ihr seinen Respekt ein, und die geistige Vorstellung einer solchen Szene veranlasste ihn zu einem für ihn eher seltenen Lächeln.
    Aber die Heiterkeit dauerte nicht lange, denn bald schon begann Entreri, an seine eigene Situation zu denken. Dort am Kleiderständer hing auch sein schmalkrempiger schwarzer Hut, den er von Jarlaxle bekommen hatte. Entreri hatte festgestellt, dass an diesem Hut ebenso wie an dem Drow selbst mehr war, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Der Hut hatte viele gute Eigenschaften sowohl magischer als auch mechanischer Art, darunter die Fähigkeit, seinen Körper abzukühlen, damit er sich besser vor Augen verbergen konnte, die statt Licht Wärme wahrnahmen, und ins Band war ein leicht entfernbarer Draht eingearbeitet, der den Hut so gut sitzen ließ, dass er ihn selbst bei einem Sturz vom Pferd nicht verlieren würde.
    Er ist mehr, als man ihm ansehen kann, dachte Entreri. Traf das nicht auf alles zu?
    Er hatte nach dem Zusammensein mit Calihye in der vergangenen Nacht fest geschlafen. Zu fest? Calihye hätte ihn töten können, erkannte er, und der Gedanke, dass sie ihren Charme vielleicht auch gegen ihn nutzte, zuckte ihm durch den Kopf. Nie zuvor hatte er sich erlaubt, einer anderen Person gegenüber so verwundbar zu sein.
    Nein, versicherte er sich. Ihre Gefühle für mich sind echt. Das hier ist kein Spiel.
    Aber gleich darauf kam ihm der Gedanke, dass Calihye, wenn sie einen Angriff auf ihn plante, selbstverständlich anstreben würde, ihn zuvor in Sicherheit zu wiegen.
    Entreri hob die Hände zum Gesicht und rieb sich die müden Augen. Dabei schüttelte er den Kopf, und er war froh, dass die Hände sein hilfloses Lachen verbargen. Mit solchen Gedanken würde er sich noch um den Verstand bringen.
    »Und, kommst du mit?« Calihyes Frage riss ihn aus seiner Nachdenklichkeit.
    Er hob den Kopf und schaute sie wieder an, während sie dort neben dem Kleiderständer stand. Sie war immer noch nackt, aber diesmal ließ er den Blick nicht über ihren Körper wandern, sondern betrachtete ihr Gesicht. Calihye war einmal hinreißend schön gewesen, und sie hatte verblüffende Augen, die manchmal in all ihrem Blau auch Grautöne zeigten. Zu anderen Zeiten, je nach Umgebung – dem Licht oder ihrer Kleidung – leuchteten sie in einem hinreißenden Blau, und sie bildeten stets einen erstaunlichen Kontrast zu ihrem rabenschwarzen Haar. Ihre Züge waren ebenmäßig, ihr Knochenbau makellos.
    Aber sie hatte diese Narbe. Sie führte von ihrer rechten Wange zur Nase, dann nach unten durch die Lippen zur Mitte des Kinns. Es war eine ausgeprägte Narbe, häufig entzündet und rot. Entreri wusste, dass Calihye sich dahinter versteckte, als leugnete sie ihre weibliche Schönheit.
    Aber wenn sie ihn anlächelte, so boshaft und gefährlich, bemerkte Entreri den Riss in ihren Lippen kaum. Für ihn war sie immer noch schön, und wenn er einmal von seinen Überlegungen absah, welche Gründe sie wohl hatte, die Narbe zu behalten, und was sie für sie bedeuten mochte, beachtete er diese alte Wunde kaum mehr. Die Narbe lenkte ihn kein bisschen von der Frau ab, dafür versank er zu tief in den Geheimnissen, die in ihren Augen glühten. Sie schüttelte den Kopf, das dichte
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