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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
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meinen Rucksack, den ich soeben neben dem Tisch abgestellt hatte.
    »Du hast wohl ’n paar Dachziegel locker, wa?« Bewundernd sah er mich an. Dann warf er einen prüfenden Rundumblick durch die fast leere Lokalität, und da im Augenblick wohl niemand Anspruch auf seine Dienste anmeldete, beeilte er sich, meinem Wunsche, den er sofort erraten haben mußte, nachzukommen. In Windeseile, so schnell konnte ich gar nicht gucken, flog ein Bierdeckel an meinen Platz.
    »Een Bier also, mehr nich. Dann machste ’ne Flatter. Und, bezahlt wird gleich! Einmal Klo ist inklusive. Einmal hab ick jesagt, damit wir uns hier richtig verstehn. Sonst lernste mir kennen. Ick kenn euch Brüder nämlich.«
    »Brüder«, hatte er gesagt. Ich lächelte ihm hinterher.
    Er kam dann auch recht bald wieder und stellte ein Bier und zwei Schnäpse auf den Tisch. Einen der Schnäpse trank er, im Stehen, selbst. Mit Blick auf den anderen sagte er: »Da, is vom Weihnachtsmann.«
    Ich durfte mich also als Gast betrachten! Und obwohl ich gern länger geblieben wäre – ich mußte wieder los. Zum Abschied wollte ich ihm aber wenigstens die Hand drücken, doch er hatte jetzt wieder beide Hände voll zu tun und warf mir im Vorbeieilen halblaut über die Schulter ein »Hau endlich ab, Mensch!« zu.
    Draußen machte ich Freitag vom Eisengeländer los. Die Leine hatte ich nur locker umgelegt. Für alle Fälle …
    Wir bezogen wieder unseren Posten in der Haupthalle. Da es dort keine Bank gab, nahm ich am Boden Platz. Meine Befürchtung, das würde auffallen, erwies sich zum Glück als unbegründet. Die Reisenden schienen mich gar nicht wahrzunehmen. Sie sahen mich zwar, aber sie sahen zugleich durch mich hindurch, als ob ich Luft wäre. Oder, noch besser, sie sahen einfach über mich hinweg. Das konnte mir nur recht sein. Alles sehen – selbst nicht gesehen werden! Ich ließ sie nicht aus den Augen …
    Während also die Absicherung der Haupthalle durch optische Überwachung (»Das werden wir ja sehen!«) gewährleistet war, bereitete mir die Unübersichtlichkeit der Seiten- und Nebentreppen einige Sorge. Gleich bei meinem ersten Kontrollgang war mir das aufgefallen: Hier gab es ungezählte Fluchtwege. Dieses undurchsichtige Revier wies ich Freitag zu, Parole »Spürnase«.
    Dankenswerterweise hatte die Bahnhofsverwaltung es nicht verabsäumt, in der Haupthalle eine Tanne aufzustellen. Mit elektrischen Lichtern. So kam doch noch ein bißchen Stimmung auf. Auch Freitag war guter Laune. Ihm gefiel es hier viel besser als zu Hause. Immer etwas los! Den ganzen Abend war er auf seinen vier Beinen. Allerdings muß bemerkt werden: Im Hinblick auf die ihm zugedachte Hauptaufgabe war diese Bahnhofsvorhalle eine regelrechte Zumutung. Ein Duftuniversumohnegleichen. Betäubend! Und verzog sich schon einmal für einen Moment der Dauergeruch des Fettgebackenen, rückte sofort Ersatz nach: Ein Paar Schweißfüße schritten zielstrebig an uns vorbei; dunkel, aus einem Pelzmantel, wehte orientalisches Parfüm uns an; Zigarrenrauch geisterte blau und ziellos durch die Halle, bis er, von einem plötzlichen Luftzug mitgerissen, das Weite suchte und es draußen, in der kalten Nachtluft, wohl auch fand … Schwierig, nicht zu sagen: Unmöglich, hier etwas herauszuriechen!
    Deshalb vergaß ich nicht, Freitag hin und wieder an seine eigentliche Aufgabe zu erinnern, nahm ihn beiseite und hielt ihm den kurz geöffneten Plastikbeutel unter die Nase: Julias aromasicher verpackte Duftkonserve! Freitag mußte sie verinnerlichen. Der Spürhund durfte für keinen Augenblick sein Jagdfieber verlieren. Er mußte auf dem Posten sein – zumal um diese Zeit nicht mehr viel Betrieb war und ich ein bißchen vor mich hindösen wollte …
    In leichtem Glitzerzeug schwebten buntgeschminkte Weihnachtsengel durch die weite festliche Halle. Ein traumhaftes Bild. Manchmal blieb ein Mann bei ihnen stehen und unterhielt sich mit ihnen, oder er nahm sich einen davon einfach mit, zu irgendeiner schönen Bescherung –.
    Flaschenklirren und Gelächter ließen mich hochschrecken. Freitag, neben mir, spitzte wachsam die Ohren. Wir hatten Gesellschaft bekommen! An der Wand gegenüber lagerte eine graue laute Männerschar. Sie sahen aus wie Ali Babas vierzig Räuber; aber es waren weniger. Stadtstreicher, Penner, Obdachlose, wie man wohl annehmen mußte. Draußen, auf dem Bahnhofsvorplatz, war esihnen sicher zu kalt geworden. Am Boden wehte es eisig herein.
    Ich tat so, als sähe ich sie nicht. Aber
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