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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
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Sie auf 5000,– DM und mehr im Monat verzichten können, brauchen Sie nicht weiterzulesen …«, hätte ich aufgehört weiterzulesen. Daß ich dennoch weiterlas, lag wahrscheinlich daran, daß mir das »Treffen Sie Entscheidungen jetzt!« von Punkt 2 noch im Kopf herumgeisterte. Die Firma Panta Rhein (das kleine, in Schreibschrift angehängte »n« offenbar ein launiger Hinweis auf den oberrheinischen Firmenstandort) vertritt seit Jahren erfolgreich einen eingeführten Markenartikel und sucht für den Vertrieb im Raum Berlin   /   Brandenburg einen engagierten Vertreter. An Voraussetzungen waren lediglich Fahrerlaubnis und Einsatzbereitschaft genannt. (Fahrerlaubnis habe ich.) Erfahrungen im Vertreterbereich wären wünschenswert, aber, so die Einschränkung, »keineswegs Bedingung«.
    Was sprach dagegen?
    Die Kreise, in denen ich mich bewegte, waren in den letzten Jahren immer kleiner, immer enger geworden. Eigentlich bewegte ich mich gar nicht mehr, sondern saß, seit meiner Abwicklung, nur noch in der Wohnung herum. Oder: Ich lag einfach auf dem Sofa und starrte zum Fenster, ganze Nachmittage … Das Fenster hing schief, wahrscheinlich, weil mein Kopf schiefhing. Aber den verrückten Kopf geradezurücken, dazu hatte ich nicht die Kraft. So blieb auch das Fenster in der Schräglage. Die Stubenfliege kurvte unentwegt durchs Zimmer. Kaum, daß sie mal eine Pause machen, ein paar Schrittchen auf der Fensterscheibe laufen würde – schon war sie wieder unterwegs, hing zwischen ihren schwirrenden Flügeln in den Lüften herum. Ich stellte mir vor und sah es richtig vor mir: Überall, wo sie fliegt, hinterläßt sie eine schwarze Spur. Ein Gewirr abgewickelter Zwirnsfäden kreuz und quer durchs Zimmer. Ich richtete mich auf,saß auf dem Sofa, die Schultern sackten herab. Mühsam kam ich hoch, tappte zum Fenster, mir wurde schwarz vor Augen. Mit der Hand schob ich das schwarze Fadengewirr beiseite, zog den Kopf ein, zog das Fenster auf. Vogelgequietsch. In den Bäumen saßen die Insektenvertilger und warteten. Sie hatten Zeit und pfiffen sich eins. Nach mehreren Anflügen schaffte es die Fliege, endlich – hinaus, in die Freiheit! Gute Reise, kleine Fliege – ich kann dich nicht begleiten, weil-ich-hier-bleiben-muß …
    Sogar Julia – obwohl das nichts zu sagen hatte – sagte damals: »Du mußt einfach wieder raus, du mußt unter Menschen.« Ob sie da schon ihren Herrn Hugelmann oder Hugemann kannte? Ich weiß es nicht. Das tut auch nichts zur Sache. Fakt aber war – und das wußte ich von Möbius, den ich aus meiner KWV – Zeit kannte –   : Zum 1.   1. sollte wieder die Miete erhöht werden. Mein letztes Rückzugsgebiet, die Wohnung, war also in Gefahr! (»Dein Feuchtraumbiotop«, wie Julia es immer nannte – dazu aber später.)
    An Versuchen, wieder Fuß zu fassen, hatte es ja nicht gefehlt. Nicht, daß es mich sonderlich nach draußen gezogen hätte. Aber inzwischen (genauer: nach über drei Jahren erzwungenen Hausmannsdaseins) wurde das Leben in den häuslichen vier Wänden für mich zum täglichen Überlebenstraining. Seit ich regelmäßig auch tagsüber zu Hause saß, merkte ich: Neubauwohnungen sind nichts anderes als Zellentrakte.
    Dann wieder – und das lag wahrscheinlich daran, daß ich mit Freitag eingesperrt war – kam mir die Wohnung wie ein Tier vor. Das aufgeklappte Maul der Tür – und hinein, ins dunkle Innere. Der lange Flur – die Speiseröhre, die dich verschlingt. Fenster, trübe Augen, die den Blick nach draußen kaum freigeben. Die Rohre sindAdern; Därme die Abflußrohre, ingrimmig glucksend … Unterm dünnen Putz, im mürben Fleisch der Betonwand, das flimmernde Nervengeäst, die elektrischen Leitungen.
    Um im Bild zu bleiben: Mein kleiner Hobbyraum wäre demnach das geistige Schaltzentrum, das Hirn der Wohnung gewesen. Und so war es auch! Sobald ich nämlich den Hobbyraum verließ, mich vielleicht ein bißchen hinlegte, zum Fenster schaute, hatte ich das Gefühl, ich würde allmählich verdaut werden …
    Dabei – ich kann mich noch erinnern, wie froh wir damals waren, als wir endlich diese Neubauwohnung bekamen. Nach Jahren unseligen Angedenkens in einem Mietshaus am Rande des Prenzlauer Bergs – am Rande des Wahnsinns!
    Dieses Mietshaus. Von außen betrachtet, alles in allem, konnte man ja meinen: eine ganz passable Bruchbude, warum nicht? Sogar mit einer Rosette über der Toreinfahrt, noch vom Krieg zerschossen. Überhaupt: die Fassade sah aus, als
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