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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
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Strahl auf den mit farbigen Mosaiksteinchen besetzten Boden der Anlage auftraf (mit Regenbogeneffekt!).
    Daneben noch diverse andere Modelle ohne ersichtliches Motiv. Aus Keramik, Porzellan, Kunststoff – letzterer in verschiedenen Dekors. Es rieselte, plätscherte, sprudelte, rann, tropfte …
    Ich hatte mich gerade an den verschiedenen Knöpfen des Modells »Vineta« versucht, mit denen man verschiedene Farbspiele auf das Wasser zaubern konnte, und mir war es – tatsächlich – gelungen, auf Knopfdruck (der Knopf war mit einem Notenzeichen versehen) leise elektronische Lautenklänge hervorzurufen … da war hinter mir plötzlich das gleichförmige Summen der Gespräche verstummt und erwartungsvoller Stille gewichen – ein großgewachsener Herr hatte das Foyer betreten. Ich sah gleich, daß es der Chef sein mußte! Nicht nur die äußere Erscheinung, auch sein Erscheinen selbst verriet das – schon wie er die Szene betrat, ein Auftritt! (Und nicht wie bei mir, der ich mich, trotz Aktenkoffers, eher wie ein Fragezeichen in den Raum gewunden hatte …)
    Er durchschritt das Foyer – sein Auftreten brachte eineneue Ordnung in die Verhältnisse. Daran, wie er für manche ein freundliches Kopfnicken oder ein aufmunterndes Handwinken übrighatte, bei anderen sogar stehenblieb, hier eine Hand schüttelte und da und dort ein paar Worte wechselte, konnte man, zumal ich als Außenstehender, ungefähr eine Rangordnung der Mitarbeiter ablesen. Seinen Rundgang beendete er am Eingangstischchen, wo die Teilnehmerliste auslag.
    Er nahm sie mit einer Hand hoch; mit der anderen Hand zog er seine Brille aus der Brusttasche, ruckte sie einmal kurz durch die Luft (so daß nun beide Bügel aufgeklappt standen), dann plazierte er mit beiläufiger Eleganz das Gestell auf seinem Gesicht und überflog die Namen auf der Teilnehmerliste. Nicken. Ein paar Worte mit der Empfangssekretärin, die inzwischen aufgestanden war. Bei seinem abschließenden Rundumblick, während er die Brille wieder einsteckte, hatte er mich erspäht. Und, tatsächlich, er kam auf mich zu …
    Was kam da jetzt auf mich zu? Ich überlegte, ob ich ihm vielleicht entgegengehen sollte – das kam mir aber zu beflissen vor. Wegsehen? Schwierig, dazu war es schon zu spät. Von gleichen Kräften hin und her gerissen, stand ich bewegungslos da. Ich richtete meine Blicke fest auf den Näherkommenden: eine – man kann es nicht anders sagen – künstlerische Erscheinung!
    Das Gesicht – vornehm gebräunt, zart gesprenkelte Alterspigmentierung. Die weißen kurzwelligen Haare sorgfältig nach hinten gekämmt. Zweireiher. Das Seidentuch, das den Hals bedeckte, von derselben Farbe wie der Tuchzipfel aus der Brusttasche …
    Ich hörte, wie ihm die Sekretärin, die halb hinter ihm ging, soufflierte: »Herr Dr. Boldinger – das ist Herr Lobek, die Berliner Bewerbung.«
    »Ah – ich weiß schon, ich weiß, der Herr Lobek«, sagte er. »Das ist aber schön –«
    Eine kleine Pause entstand.
    »Herr Lobek, vielleicht, schlage ich einfach mal vor, schauen Sie sich das heute hier erst mal an, schnuppern ein bißchen bei uns herein – und dann überlegen wir in den nächsten Tagen, bei einem Glas Wein vielleicht … überlegen wir einfach mal gemeinsam, wie es mit uns weitergehen könnte. Einverstanden?«
    Ich nickte.
    »So – ich glaube, jetzt müssen wir aber. Sonst bekommen wir noch Ärger.« Boldinger lächelte mir zu.
    Die Sekretärin ging voran. Boldinger und ich hinterher, so betraten wir den Konferenzsaal.
    Boldingers Eröffnungsansprache war kurz. Er wolle, so betonte er, keineswegs den Fachgesprächen in den Arbeitsgruppen vorgreifen (ein Herr Ingenieur Waassmund würde, wie schon im Vorjahr, das Seminar »Modelle   /   Entwicklung« leiten; Herr Diplom-Volkswirt Strüver erstmals das »Verkaufsseminar«); er selbst gestatte sich lediglich ein paar allgemeine Bemerkungen zu Beginn der diesjährigen Zusammenkunft. – Die Schwerpunkte seiner Rede hatte ich, wie folgt, mitstenographiert.
    Eintrag ins Protokollbuch: Begrüßung Dr. Boldinger; … zu einer schönen Tradition geworden usw.; Hoffnung: fruchtbarer Gedankenaustausch zwischen Modellentwicklung und Verkauf (das A und O überhaupt!); Geschäftsbilanz des Vorjahres gut, aber: dies ausschließlich nur wieder dank der Sortimentsklassiker (Waldeinsamkeit 4, »naßforscher« Wasserfrosch); kein Vorwurf an die Entwicklungsabteilung, dennoch: »Wo bleiben im Verkauf die neuen Modelle?«
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