Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
Vom Netzwerk:
erdacht und geplant hatten, mußte Blütentraum bleiben, konnte nicht reifen, das ist klar. Wenn wir aber heute nüchtern Bilanz ziehen: durch den Ostmarkt hat es keinerlei nennenswerten Zuwachs gegeben, nichts. Auch das, meine Damen und Herren, muß uns in den nächsten Stunden und Tagen unseres Beisammenseins zu denken geben.«
    Seine Blicke schweiften durch den Raum. (Für einenAugenblick schien mir, als suchte er mich.) Er packte seine Papiere zusammen. »Lassen Sie uns also weiterhin daran arbeiten … kleine Oasen der Lebensfreude! Ich glaube, das sollten wir so, als vorläufiges Schlußwort, mit in die Seminare nehmen. In diesem Sinne! – Ich danke Ihnen.«
    Kurze Kaffeepause. Draußen war inzwischen ein kleines Büffet aufgebaut worden, Sekt und belegte Brötchen. Doch zuvor gab es, als kleinen Höhepunkt, die feierliche Enthüllung eines neuen Modells.
    Herr Strüver, unter dessen Mitwirkung es entwickelt worden war, stellte kurz Aufbau und Funktionsweise vor: Jona, ein etwa fingergroßer Walfisch (Typ U-Boot, metallic-blau), schnob eine schüchterne Wasserfontäne aus, dann tauchte er im Becken ab. Nach ca. 15   Sekunden wiederholte sich das von neuem. Die klassische Ära Blumentopfecke   /   Sesselgarnitur, so Strüver in seiner kleinen Ansprache, sei vorbei. Dies hier sei ein erster Schritt weg von der altbekannten »Plätscherecke« – hin zum Ereignisspringbrunnen, »the new generation«.
    Boldingers Blicke, ich sah es, gingen interessiert-bekümmert zwischen Strüvers Modell und den versammelten Vertretern hin und her.
    Am Ende dankte er Strüver für dessen Ausführungen und schloß mit den Worten, dies sei eine Herausforderung, die neue Maßstäbe an den Verkauf stelle. Geeignet sei dieses Modell sicher ebenso für den erfahrenen Vertreter wie für den hochmotivierten Neueinsteiger.
    Dann ging es endlich zum Büffet.
    Ich war noch ganz in Gedanken und mir war dabei unversehens ein zähes Stück Schwarzwälder Schinken, das ich an keiner Stelle hatte durchbeißen können, inganzer Länge in den Mund geraten; und so sehr ich auch darauf herumkaute, es schien nur immer größer zu werden, ein atemraubender Klumpen in meiner Mundhöhle, mit dem ich still verbissen kämpfte – als Direktor Boldinger noch einmal auf mich zutrat. »Na, das ist alles sicher noch ein bißchen neu und ungewohnt für Sie. – Wir müssen uns ja auch erst noch richtig kennenlernen.«
    Er streifte dann noch einmal den letzten Teil seiner Rede und sagte etwas von einer »Mauer in den Köpfen« – dabei gelang es mir, den Schinkenklumpen unbemerkt in eine Ruheposition zu bringen, so daß ich zwar flach, aber wenigstens wieder regelmäßig atmen konnte.
    »Ich will es Ihnen klipp und klar sagen, Herr Lobek: Ihre Bewerbung hat uns sehr gefallen! – Auf einer Schreibmaschine geschrieben. Mit ausbrechendem ›e‹, nicht wahr? Das ist ja noch fast wie Handschrift!
    Aber, was die Hauptsache ist: Sie haben künstlerisch-handwerkliche Fähigkeiten, ganz wichtig. Sie fahren Auto, sehr gut. Sie haben eine Wohnung in Berlin. Und, last not least, Sie haben einschlägige Erfahrungen in der Vertreterbranche! – Dazu würde ich übrigens bei Gelegenheit gern noch mal etwas mehr erfahren.«
    Er hatte alle meine Vorzüge an seinen Fingern abgezählt, nur den letzten, den Ringfinger, bekam er nicht ganz hoch; der verblieb in einer Schräglage.
    »Alles Punkte, die alle sehr für Sie sprechen, Herr Lobek. Und dunkle Punkte in Ihrer Vergangenheit gab es ja meines Wissens auch nicht?«
    Ich schüttelte atemlos den Kopf, wobei sich allerdings mein Schinkenkloß in Erinnerung brachte – er war ein Stück in den Hals hinabgerutscht. Mit einem kurzen, kräftigen Würger, ich mußte die Augen fest zusammenpressen, brachte ich ihn wieder, ehe es zu einem Erstickungsanfall kam, in die Ausgangslage … Boldinger sah mich forschend an. Ich atmete schwer.
    »Aber – wenigstens in der Partei, in der Partei waren Sie doch?« fragte Boldinger nun vorsichtig nach.
    Ich nickte zaghaft. Doch ehe ich den Mund aufbekam, um – wie ich sie für diesen Fall parat hatte – ein paar orientierende Worte zu sagen, hatte er mir schon fest und aufrichtig die Hand gedrückt. (Unsere Hände müssen in diesem Moment ausgesehen haben wie auf dem Parteiabzeichen.) In Boldingers Augen las ich ein stummes »Sag jetzt nichts, Hinrich!« Dafür sprach nun er auf mich ein, leise, beschwörend: »Sie wollten sich etwas schaffen, aber es war eben die falsche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher