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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
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(Mißverhältnis Entwicklungskosten   –   Verkaufserlös); ein »Es verkauft sich ebennicht« kann uns hier nicht mehr genügen; Menschenbild; »Unser Kunde – was ist das? Ein feindliches Wesen, das es zu besiegen gilt? Ein Freund, den wir nur geduldig überzeugen müssen? Beides? Ein Doppelwesen? Wir wissen es nicht. Ein Dunkel über dieser Frage –«; deshalb: Psychographie, Soziodemographie alter und neuer (dazu später noch gesondert) Zielgruppen; man kann vor Ort nichts erwarten, wenn nicht vermittelt wird, daß ein ZSB (Zimmerspringbrunnen) mehr ist als eine Art »Luftbefeuchter« (allgemeine Heiterkeit im Saal!); Warnung vor der x-mal gehörten Frage »Wozu brauche ich das? Was nützt mir das?« (lebhafte Zustimmung aus dem Saal); »Nutzen« umfassender definieren – Ausbruch aus engen Nützlichkeitserwägungen, Stichwort ›Sinnkrise‹, Stichwort »Zukunftsangst«; ZSB als ein »Ort spiritueller Ich-Erfahrung«, Ruhe und Bewegung zugleich; ganz in diesem Sinne auch die Worte Conrad Ferdinand Meyers zu verstehen, auf der Rückseite des Tagungsprogrammes abgedruckt …
    Der römische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite giebt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und giebt zugleich
Und strömt und ruht.
    »… und strömt und ruht«, wiederholte nun Boldinger, nachdem alle den Text gelesen hatten und wieder aufblickten, leise und eindringlich.

    Natürlich, nicht alles in Boldingers Rede hatte ich auf Anhieb verstanden; und die zahlreich gebrachten Details schwirrten mir noch, ohne daß ich sie recht hätte einordnen können, ziemlich zusammenhanglos im Kopf herum. Aber die Art, wie Direktor Boldinger gesprochen hatte – abgeklärt, ohne Rechthaberei, eher fragend, immer das Ganze vor Augen –, das hatte mir doch stark imponiert.
    Und dann: das Gedicht!
    Obwohl ich von Haus aus zu derartigen Dingen eigentlich keinerlei Zugang habe – das sagte mir etwas. Ich kann es nicht anders sagen! Es war, als hätte dieser Herr Meyer mir heimlich über die Schulter geschaut – wie ich vormittags zu Hause durch die Wohnung stromerte, mein Morgenlied pfeifend … wie ich die Blumen goß, das Wasser strömte … und ich – unheimlich ruhig davon wurde, steinruhig. Diese Zeilen drückten aus, was ich Julia vielleicht immer hatte sagen wollen, ihr aber niemals so hatte sagen können.
    Deshalb wahrscheinlich kaufte ich an diesem Abend noch, auf dem Rückweg zum »Föhrentaler Hof«, eine Ansichtskarte »Gruß aus Bad Sülz«. Ich adressierte sie an Julia und schrieb darauf am nächsten Tag, im Seminar, dieses Gedicht. Nichts weiter.
    Ich gebe zu, vielleicht war das ein Fehler. Vielleicht mußte Julia das mißverstehen. Der Streit später entzündete sich dann ja besonders an einem Punkt: Ich hatte unten in die Ecke noch dazugesetzt: »Herzlichen Gruß an H.!«
    Julia, später dazu, sinngemäß: Ich würde zweideutige Gedichte an sie schicken und das obendrein noch mit »zynischen, haltlosen Verdächtigungen« garnieren. – Zugegeben, einen Hintergedanken hatte ich bei der Sache. Nicht so sehr, als ich das schrieb, da nicht, dahatte ich wirklich Hasso im Sinn … aber beim Lesen fiel mir schon auf, daß »H.« durchaus auch etwas anderes als Hasso heißen konnte, nicht wahr?! Und? –
    Allein, daß Julia so bereitwillig und ausschließlich in Richtung H wie Hugelmann dachte, bestätigte meine Vermutungen und gab mir ja recht.
    Boldinger hatte sich inzwischen ganz von seinem Redemanuskript gelöst, er sprach nun frei zu den Versammelten.
    »Bevor wir jetzt in die Arbeitskreise gehen …« Strömen! rief jemand in Anlehnung an das Gedicht launig dazwischen – Boldinger quittierte es mit einem matten Lächeln, wurde aber gleich wieder ernst: »… davor will ich und muß ich noch ein Problem ansprechen, das mich – ich sage das offen – ganz persönlich berührt und schmerzt.
    Sie erinnern sich, Herbst 89, unsere Vertreterkonferenz … Wie wir – ja, ich schäme mich nicht meiner Gefühle! – wie wir abends, jawohl, mit Tränen in den Augen vor den Bildschirmen saßen … Wer damals dabei war, wird das nicht vergessen können! Und der wird auch nicht vergessen haben, wie am nächsten Tag unsere Gedanken hinübergewandert sind … hinüber, in den Osten. – Sicher, sicher, manches von dem, was wir damals in unserer ersten Freude erträumt,
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