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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
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angerufen und gleich aufgelegt.)
    Am nächsten Tag fuhr ich in die Innenstadt. Zu dem entscheidenden Treffen wollte ich nicht unbedingt in meinen ausgebeulten Jeans oder in Freizeitbekleidung fahren (seit der Wende hatten sich pinkfarbene Blousons, giftgrüne Jogginghosen und andere Sonderangebote bedrohlich und wie von selbst in den Fächern meines Kleiderschranks vermehrt).
    Direkt gegenüber von Julias Bürogebäude gab es die Boutique »Avantgarde«. Ich wollte mich dort postieren, auf Julia warten und auf diese Weise das Unangenehme (Kauf einer Herrenhose) mit dem Nützlichen (Recherchen in Sachen Julia   /   Hugelmann) verbinden.
    Einige Kundinnen durchstreiften die unübersichtliche Verkaufsetage. Lustlos, aber mit Kennerblick durchblätterten sie die ausgehängten Kleider und Blusen. Diskomusik. Ein Spiegelkabinett – und der herumirrende Affe im Spiegel: ich.
    Endlich aber hatte ich entdeckt, was ich suchte. Ein verchromtes Hosenkarussell: Von diesem Standort aus hatte ich, ohne selbst gesehen werden zu können, optimale Einblickmöglichkeiten in die Straße und vor allem auf den Gebäudekomplex, aus dem Julia ungefähr gegen halb fünf kommen mußte. Ich tauchte probehalber unter …
    »Kann ich Ihnen helfen?« fragte mich von oben herab eine Verkäuferin. Ich richtete mich rasch auf und sah sie unschlüssig an. Ich schüttelte den Kopf.
    »Suchen Sie vielleicht eine Bundfaltenhose?« half siemir weiter. »Nein, das weniger«, raunte ich zurück, und ich fügte leise hinzu: »Ich suche die Wahrheit.«
    Die Verkäuferin nickte freundlich und wiederholte ihr Angebot, mir bei der Auswahl zu helfen. Sie taxierte mich noch mit einem kurzen Blick und wies mich dann auf die besonders preisgünstigen Modelle im Nebenständer hin. Ich aber hielt mich an meinem Hosenkarussell fest und murmelte etwas von »Preis-Leistungs-Verhältnis«. Blindlings griff ich mir ein paar Hosen heraus und hielt sie mir an.
    »Sie müssen sie aber schon mal anprobieren«, riet mir die Verkäuferin, und da sie selbst jetzt anderweitig zu tun hatte, rief sie durch den Laden: »Frau Schröder, kommst du bitte mal rüber, der Herr hier sucht eine preisgünstige Hose.« Mich trafen, kurz und vernichtend, die Blicke der Kundinnen, am liebsten wäre ich gleich wieder abgetaucht … Schließlich aber hatte ich mich mit Frau Schröder – sie war schon etwas älter und im Umgang mit mir wohltuend mütterlich – auf ein brombeerfarbenes Modell geeinigt. Zwischendurch schielte ich immer wieder nach draußen, auf keinen Fall wollte ich Julia verpassen. Als ich schon bezahlt hatte und mit der Tüte in der Hand in der Nähe der Kasse herumstand und zum Schein – vor allem natürlich, um Zeit zu gewinnen – die Krawatten durchmusterte, sah ich aus Julias Bürogebäude Leute kommen. Unauffällig bewegte ich mich in Richtung Ausgang.
    Ich entdeckte Julia. Sie kam, als hätte sie es geahnt, allein. Wußte sie, daß ich hier war? Ich lief ihr direkt vor die Füße. Sie war überrascht und schien sich sogar zu freuen. (Vielleicht war ihr Hugelmann, der mutmaßliche Abteilungsleiter, ja auf Dienstreise?) Julia zog meine Hose aus der umweltfreundlichen »Avantgarde«-Tüte hervor.
    »Schick«, sagte sie, »schick.« – Und (ohne eine Spitzeging es ja nicht): Es sei ihr schon immer fraglich gewesen, ob ein Mensch in Jogginghosen überhaupt je imstande wäre, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
    Ich hielt mich am Griff meiner Tüte fest und schwieg.
    Dann fuhren wir nach Hause. Julia bat mich, zu fahren, sie sei schrecklich müde, den ganzen Tag Besprechungen. Im Rückspiegel sah ich hinten, auf der Hutablage, meine »Avantgarde«-Tüte liegen. Das beruhigte mich. Mir war, als hätte ich mit dem Hosenkauf die Sache schon perfekt gemacht.
    Zu Hause hatte ich den Panta-Rhein-Brief gut sichtbar, aber wie zufällig, zwischen allem möglichen Werbezeug auf dem Garderobentischchen plaziert. »Darf ich?«, fragte Julia – aber da las sie schon. »Davon wußte ich ja gar nichts«, sagte sie, »aber, Mensch, das ist ja toll!«
    Da war es wieder – das Hugelmannvokabular. Ich nickte, als ginge mich das alles gar nichts mehr an. Abends notierte ich ins Protokollbuch: »Ich kann mich mit Julias Gesamtverhalten nicht mehr einverstanden erklären. – Und überhaupt: Freunde, nicht diese Töne!«
    Am Tag vor meiner Abreise holte ich meinen schwarzen Aktenkoffer vom Schrank. Ich hatte ihn lange nicht gebraucht, er mußte erst abgestaubt werden. Darin
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