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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
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herumsitze, könnte ich ruhig mit Hasso einmal mehr die Runde machen. Ich aber war strikt dagegen: 1. (das sagte ich nicht) der Hund gewöhnt sich daran; 2. (das sagte ich auch nicht) damit hätte ich mein Zuhausesein ja nur zementiert, anders: was würde mit Hasso, wenn ich wieder Arbeit hätte? Julia schien offenbar davon auszugehen, daß ich für immer zu Hause bleiben würde.
    Was Julia nicht wußte: Ich hatte Hasso damals heimlich umgetauft!
    Ich rief ihn zu mir in den Hobbyraum. Vor diesem Ort hatte er, seit es mal einen Auftritt zwischen uns gab, über den ich hier nichts schreiben kann, Respekt. Im Hobbyraum war ich nicht sein Herrchen, sondern sein Herr! Hasso blieb an der Tür sitzen und sah mich an. Hundeblick. Ich legte meine Laubsäge aus der Hand und sagte mit ruhiger Stimme: »Du bist jetzt Freitag, Hasso!« Dann noch einmal direkt ins Gesicht: »Du bist jetzt Freitag! – Ende der Durchsage!« Er hechelte, verzog aber keine Miene. Stummes Einverständnis. Dann trollte er sich.
    Normalerweise gingen wir uns tagsüber aus dem Wege. Er duckte sich weg, wenn ich kam. Recht so.
    Wenn es aber klingelte oder Julia von draußen kam, war er sofort an der Tür. »Ach, wenigstens mein Hassolein sagt mir Guten Tag«, hörte ich Julia draußen sagen. Was erwartete sie eigentlich von mir? Sollte ich etwa auch schwanzwedelnd zur Tür rennen? an ihr hochspringen? ihre Hände ablecken? an ihren Taschen schnüffeln? Oder was! Ich saß im Hobbyraum und ruckte mich nicht vom Fleck. Vielleicht hatte ich im Moment auch gerade etwas sehr Wichtiges, etwas sehr Unaufschiebbares zu tun. Wer weiß.
    Wie zum Beispiel an dem Tag, als ich meine Panta- Rhein-Bewerbung schrieb. Im Grunde genommen war sie ja, bis auf zwei, drei offene Formulierungen, schon fertig. Ich mußte mich nur noch entscheiden, wie ausführlich ich meinen bisherigen beruflichen Werdegang schildern sollte. Von meinem alten Lebenslauf war, abgesehen von einigen Daten, die ich immer wieder vergesse (Schulanfang usw.), leider nicht mehr viel zu gebrauchen. Vollständig gestrichen hatte ich zunächst den Passus,beginnend mit »Bin seit meiner Schulzeit überzeugter Vertreter der sozialistischen Ordnung«, dann aber überlegt, ob sich nicht doch etwas davon retten ließe und mich schließlich zu der Kurzfassung entschlossen: »Langjährige Erfahrungen im Vertreterbereich«.
    Bevor ich an die endgültige Abschrift ging, wollte ich mich aber kurz aufs Sofa legen, um die Sache noch einmal komplex zu überdenken. Ich mußte eingeschlafen sein, denn plötzlich stand Julia in der Tür: »Es kann doch nicht wahr sein, daß du wieder den ganzen Tag stabile Seitenlage geübt hast …« (Unverhohlene Anspielung auf meinen Rotkreuz-Lehrgang!) Ich sagte nichts, sondern dachte nur intensiv an Punkt 3 des Wochenhoroskops: Bleiben Sie gelassen!

– Soll ich oder soll ich nicht?
Antworten über Antworten –
    Als ich ungefähr einen Monat später den Antwortbrief der Panta Rhein auf mein Bewerbungsschreiben erhielt, zuckte ich innerlich zusammen. Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, nichts mehr von der Firma zu hören, bestenfalls vielleicht eine Absage. Und nun das! Eine Einladung, und zwar nach Bad Sülz, in den Hochschwarzwald, zur alljährlichen Vertreterkonferenz, »eine gute Gelegenheit, einander in aufgeschlossener Atmosphäre kennenzulernen« und zu überprüfen, ob nicht auch ich »ein neues Mitglied unserer großen, überaus erfolgreichen Panta-Rhein-Familie« werden könnte. Vom Direktor persönlich unterschrieben: »Ihr Alois Boldinger«. Mein Alois Boldinger.
    Ich wankte zum Fahrstuhl. In der Wohnung angekommen, ging ich ins Wohnzimmer, zog die Gardinen vor und legte die Neunte, meine Lieblingssinfonie, auf den Plattenteller. Mich selbst legte ich aufs Sofa. Die Platte drehte sich. Alles drehte sich. Alles drehte sich um mich. Ich schloß die Augen und besah mich von innen. Die letzten Wochen und Monate, die ganzen Jahre (und die kaputten) zogen an mir vorüber. Sie verschwanden auf Nimmerwiedersehen im Dunkel der Vergangenheit, im Licht einer neuen Zukunft … Zum Schlußchor stand ich auf, stellte mich vor die Schrankwand und dirigierte, innerlich bewegt, bis zum Ende durch.
    Danach, gegen alle Gewohnheit, wählte ich Julias Büronummer an, hatte aber, als sie sich meldete, plötzlich das Gefühl, sie sei nicht allein im Zimmer; Hugelmann ist bei ihr, dachte ich und legte sofort wieder auf. (Am Abend würde sie mir wieder sagen: Irgend so ein Idiot hat
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